Das Ensemble in der Uraufführung von Lothar Trolles "Sie leben!" am Berliner Theater an der Parkaue.

Berliner Petitesse

Lothar Trolle: Sie leben! Sie leben! Sie leben noch immer!

Theater:Theater an der Parkaue, Premiere:24.10.2013 (UA)Regie:Sascha Bunge

Das so vielseitig produktive, traditionsreiche Kinder- und Jugendtheater „Parkaue. Junges Staatstheater Berlin“ (30 Repertoirestücke, 11 Premieren in dieser Saison), bestellte, innovativ, wie es sein will und muss, bei dem in Berlin-Pankow lebenden Dramatiker, Erzähler, Lyriker und Hörspielautor Lothar Trolle (69), der in der DDR kalt gestellt wurde, ein witziges Berlin-Stück. Man dachte an so saftige wie poetische, obendrein historisch grundierte Geschichten über kleine Leute heute im Moloch Großstadt; Zielgruppe: Gymnasiasten ab 11. Klasse. Trolle war begeistert. Ihm schwebte Komödiantisch-Plebejisches vor wie Goldonis „Il Campiello“ – „erzählt von Berlin-Lichtenberg aus“ (Lichtenberg: Bezirk im tiefen Osten der Stadt).

Das Ergebnis unter dem sperrigen, bis ins Präteritum greifenden Drei-Ausrufezeichen-Titel „Sie leben! Sie leben! Sie leben noch immer! Ein Berliner Märchen“: Eine fein gesponnene, kunterbunte Girlande von deftigen, zarten, sarkastischen, banalen und entsetzlichen, auch gar grauenvollen (kriminellen) Miniaturen aus dem Alltag im Proleten- und Kleine-Angestellten-Milieu. Motto: „Es ist passiert, also wird es immer wieder passieren.“ Dazu noch als das annonciert Märchenhafte einige dürftig aufgepappte Ausschläge ins Surreale. Und noch dazu ins Historische: Rosa Luxemburgs Leiche im Landwehrkanal.

Der Zwei-Stunden-Abend besteht also im Wesentlichen aus einer losen Folge durchaus genau beobachteter sozialer Skizzen als Potpourri von Monologen – man kann auch sagen aus einem Poem im Laubenpieper-Format übers Berlin von unten. Garniert mit lokalen Volkstümlichkeiten wie „Fritze Bollmann“ oder Sinnsprüchen wie „Wer Gott vertraut und Bretter klaut, der hat ‘ne billige Laube“. Ganz nett als Comic-Leporello, als gedrucktes Bändchen anekdotischer Berlin-Geschichtchen. Theatertauglich freilich ist die Petitesse nicht wirklich. Goldoni würde grinsend abwinken.

Nun hat sich Sascha Bunge der Uraufführung dieses Bildchenbogens angenommen. Er weiß ihn geschickt und routiniert aufzublättern. Doch bei aller inszenatorischen Phantasie: Es bleibt beim Hörspiel. Für die Bühne aufgemotzt mit mehr oder weniger originellen theatralischen Effekten, Requisiten (u.a. Currywurst, Bierpulle, Spielzeugpanzer), mit simplen Videospielereien (Konstantin Bock), etwas Singsang zur Gitarre und dem üblichen Quantum jugendgemäßer Popmusik in Bühnenbildnerin Angelika Weddes hübscher Spielkiste. Die hat viele Türen, Klappen, Fenster für mannigfache, sogar komische Auf- und Abtritte der sieben glorreichen Schauspieler in für Berlin typisch hässlicher Kostümierung (Clemens Leander). Sie heißen Lutz Dechant, Caroline Erdmann, Jakob Kraze, Franziska Krol, Thomas Pasieka, Denis Pöpping und Franziska Ritter.