Foto: „On Air On Fire“ von Marion Brasch am Theater an der Parkaue mit Theresa Henning und Elisabeth Heckel. © David Baltzer
Text:Gunnar Decker, am 17. November 2025
Wie vermittelt man heute jungen Menschen die ambivalenten Gefühle der Wendejahre? Marion Braschs Stück „On Air On Fire“ am Theater an der Parkaue geht auf doku-fiktionale Zeitreise in die DDR – zum Jugendsender DT64. Regisseur Alexander Riemenschneider versieht dieses Stück Zeitgeschichte mit bemühten, aber berechenbaren Spielelementen.
Ein Jugendradio in der DDR, das seine Zuhörer erreichte. Das konnten nicht viele offizielle Medien im Staate von sich behaupten. Aber DT64, gegründet zum Deutschlandtreffen der FDJ 1964 in Berlin, blieb auch nach Ende des Treffens auf Sendung – weil es so erfolgreich war.
DT64 gelang, was Staat und Partei in der DDR verwehrt war: Es war beliebt und glaubwürdig gleichermaßen. Die große Aussprache der Herrschenden mit dem Volke, die Brecht einst forderte, die aber auf großer Bühne nie geführt wurde – hier fand sie täglich im Kleinen statt: Hörer sagten ihre Meinung und das nicht bloß über die Musik, die gespielt wurde. Wären alle DDR-Medien so offen gewesen wie dieser Radiosender – die Stimmung im Lande wäre 1989 eine andere gewesen.
Einstige DT64-Redakteurin
Marion Brasch, einst Redakteurin bei DT64, hat dieser besonderen Rolle des Jugendradios eine Art Bühnenessay gewidmet, den sie selbst eine „dokufiktionale Zeitreise“ nennt. Aber wie macht man aus diesem gewiss interessanten Stück Zeitgeschichte bühnentaugliches Theater, noch dazu für ein jugendliches Publikum?
Regisseur Alexander Riemenschneider versucht Vergangenes und Gegenwärtiges in einer Art Spielordnung zusammenzubringen. Videos werden auf transparente Vorhänge projiziert, das Publikum sitzt zu beiden Seiten der Bühne, eine gläserne Moderatorenkabine, Schreibtische und Drehstühle sollen eine Senderatmosphäre erzeugen. Irgendwann wird das Publikum aufgefordert, die Seiten zu wechseln, weil ein neuer Platz zu neuen Einsichten verhelfe. Einige Zuschauer irren dann noch eine Weile umher, bis sie wieder einen Platz gefunden haben. Telefonate der Moderatoren mit Hörern werden ins Publikum gelegt. Zum Glück muss der Text nur abgelesen werden, sonst fiele die Inszenierung hier in ein tiefes Loch.
Viel Bewegung, wenig Handlung
Das alles sind bemühte, aber ausrechenbare Spielelemente. Die fünfköpfige Redaktion, gespielt von Jan Tsien Beller, Elisabeth Heckel, Theresa Henning, Jakob Kraze und Ilona Raytman versucht durch angedeutete rappige Tanzeinlagen, Bewegung in den Abend zu bringen. Viel Handlung lässt sich daraus nicht ziehen. Vielleicht wäre eine szenische Lesung nicht nur der Vorlage gegenüber angemessener, sondern auch wirkungsvoller gewesen?

„On Air On Fire“ von Marion Brasch am Theater an der Parkaue mit Jan Tsien Beller und Ilona Raytman. Foto: David Baltzer
Man moderiert, diskutiert, hört Musik – kompakte fünfundsiebzig Minuten lang. Dabei ist das vorrangig junge Ensemble auf der Bühne von ganz anderem Temperament als über fünfunddreißig Jahre zuvor die Redaktion des Senders. Hier und jetzt agieren sie sehr forsch. Warum nicht herausschreien, was man meint? Aber damals lastete ein starker Druck von außen und innen auf jedem Einzelnen. Da war eine große Verhaltenheit.
Zwischen Aufbruchs- und Endzeitstimmung
Marion Braschs Zeitreise beginnt im Sommer 1989 und für junge Menschen von heute ist es offenbar schwer nachzuvollziehen, warum bei einem Jugendsender, der Beat-Musik von DDR-Gruppen, aber auch englischsprachigen Rock spielte, so eine angespannte Atmosphäre herrschte. Die Stimmung im Lande war Anfang 1989 denkbar schlecht, bei den Regierenden wie bei den Regierten. Jeder wusste, so wie es ist, kann es nicht bleiben. Doch wie würde sich die Spannung und Unzufriedenheit lösen? Das machte die Lage so explosiv und gab ihr gleichzeitig auf dekadente Weise etwas Ornamentales.
Kann man diese besondere Atmosphäre innerhalb eines Jahres zwischen barocken Endzeitgefühlen, kurzer Aufbruchshoffnung und kalter Abwicklung heute noch jemandem vermitteln? Im reinen Rückblick kaum, aber der große Ernst samt Sorge, die uns damals beherrschten, die fehlende Leichtigkeit – sie werden heute vielleicht wieder verständlich angesichts neuer Bedrückungen.
Gestern und Heute
Was wird uns propagiert und wie verhalte ich mich dazu? Kann ein falsches Wort schon meinen beruflichen Erfolg ruinieren? Und was, wenn es kein falsches, sondern ein notwendiges Wort ist, das zu sagen Mut erfordert? Diese neue Parallelität von Gestern und Heute, die hier nicht direkt benannt wird, aber in die sich jeder selbst hineinversetzen sollte, ist ein nicht unwesentliches Element von „On Air On Fire“ – die Gewissensnot des Handelnden hört nicht auf. Die Frage an den Einzelnen, wie viel Widerspruch er sich in autoritären Situationen selbst zutraue, geht über das Ende von DT64 hinaus. Das Lied der Gruppe Karussell „Als ich fortging“ mit den Zeilen „Nichts ist unendlich, so sieh das doch ein“, entstanden vor 1989, wurde nach 1989 zur postumen Wendehymne des Ostens. Im „Kehr wieder um“ sammelte sich alle Melancholie dieser Zeit.
Was Erich Honecker nicht gelang, der 1965 DT64 wegen seines „einseitigen Beatmusik-Programms“ scharf kritisierte, das passierte 1992: jener Radiosender, der ein Reformmotor des 89er-Herbstes gewesen war, wurde abgeschaltet. Proteste waren erlaubt, aber änderten nichts.
Gut, dass diese Nachwende-Ernüchterung hier nicht ausgeblendet wird. Das üble Spiel der Übernahme von Radio und Fernsehen der DDR durch Westmedien, oft private, hat zu einer immensen Frustration im Osten geführt. Die Frequenz von DT64 bekam der RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor), der kurz darauf privatisiert wurde. Der Kalte Krieg war vorbei und die Amerikaner wollten kein Frontstadtradio mehr finanzieren. Das trotzige „Wenn die uns hier das Licht ausmachen, machen wir es woanders wieder an“ der Unterstützer von DT64 klingt heute mehr denn je nach Utopie.