Foto: Szene mit Valentine Yannopoulos, Gotaut? Kalmatavi?i?t?, Luca Ghedini und Zoe Gyssler © N. Klinger
Text:Andreas Berger, am 22. Januar 2016
Der Pool ist leer. Die Tänzer stolpern, stürzen und fallen. Kullern wie Stuntmen die Treppen runter, brechen filmreif auf der Stelle zusammen. Sicherheit gibt es nicht, verkündet eine Tänzerin. Überm Pool prangt die Gefahrenmeldung: Hier ist der tiefe Bereich, da, wo das Sprungbrett weit übers Becken ragt. Johannes Wieland will mit seinem neuen Stück „You will be removed“ auch von Krieg und Flucht erzählen. Er tut es in einem befremdend coolen Ambiente, der Pool ist so sauber und unversehrt wie die Kostüme schick und späterhin blütenweiß (Bühne: Momme Röhrbein). Das hebt die Diskussion sofort auf eine grundsätzlichere Ebene. Hier geht es nicht um Befindlichkeiten, sondern um Systemkritik und allerdings sehr essentielle Gefühle und Triebe, die die Tänzer mit voller Wucht rauslassen. Dieser Gegensatz aus Intellekt, Ästhetik und emotionaler Power erzeugt klug eine das Stück grundierende Reibung, lässt dem Geschehen auch eine Art Geheimnis, das vor schnellen Gewissheiten schützt.
Vom Pool zur Turnhalle als Flüchtlingsunterkunft ist der Gedanke nicht weit. Aber vielleicht handelt es sich hier eher um den Gen-Pool, zumindest um ein geschlossenes System, in dem Versatzstücke wie Einkaufswagen, Plüschtier, Bälle, Schuhe oder Zimmerpalme an Umzüge denken lassen, an die letzten persönlichen Utensilien Obdachloser ebenso. In dies System eingesperrt sind Menschen voller Energie. Zwei Jungs belauern sich und steigern flüchtige Berührungen zu einer muskulösen Klopperei. Andere gehen immer wieder unvermittelt die Wände hoch. Später springen die Tänzer in die Arme des Partners, werden fallen gelassen oder an langem Arm weggeschleudert. Diese Paarbildungen stecken stets voller Aggression.
Wieland ist ein Spezialist für solche explosiven Begegnungen, die ursächlich zärtliche Kontexte aufladen mit Spannung und Energie. Interessant auch, wie er die anschwellende Musik oft choreographisch nicht bedient, sondern extrem ruhige Bewegungen damit kontrastiert, die Tänzer auch oft so verloren und mit sich selbst beschäftigt rumstehen oder -sitzen lässt, wie es Menschen in einer kühl-konsumistisch durchgestylten Gesellschaft oft sind. Das schürt umso mehr den Eindruck, das unterschwellig vieles nicht stimmt in diesem Pool.
Es wird auch viel geräumt, aufgeräumt, wieder vollgerümpelt. „You will be removed“. Eigentlich sind alle Menschen immer irgendwie auf der Flucht. Es gibt auch eine ganz schmiegsame, weiche Gruppe, anlehnungsbedürftig an der Wand und dem Nächsten lang. An Ringen hangelnd wird eigentlich nur die bekannte Aggression wiederholt.
Und dann schauen alle, schick in Weiß gewandet, ins Publikum. Ein halbnackter Kollege muss sich nach ihren Anweisungen zeigen und drehen: das Leben als Ausleseprozess, von der Castingshow bis zum Flüchtlingscamp. Sinnfällig nachgespielt mit der „Reise nach Jerusalem“ – dieses Kinderspiel, bei dem es immer einen Stuhl zu wenig gibt im Kreis und das den frühen Gebrauch des Ellenbogens lehrt. „Hauptsache weiß, das ist demokratisch. Nur nicht vermischen“, beschwört eine Tänzerin. Auch Mann- und Frausein, sauber definiert. Das bleibt eher Sprechblase, hier fehlen Wieland konkrete Situationen, die den Zynismus greifbarer machten. Über einer synchronen Gruppe geht das Stück plötzlich aus, ohne starkes Bild, das Appell sein könnte, ohne Effekt. Merkwürdig, und in krassem Kontrast zu den starken Bewegungsfindungen im ersten Teil. Trotzdem gab’s rasenden Applaus im Kasseler Schauspielhaus.