Foto: Szene mit Einat Aronstein und Derek Rue © Martin Kaufhold
Text:Michael Kaminski, am 11. September 2022
Die Landschaft ist öde und wolkenverhangen, einzig Windräder geben Orientierung. Vater Trulove und Tochter Anne richten sich in der tristen Gegend ihr bescheidenes Idyll im kleinen Gewächshaus mit sorgsam gehegten pflanzlichen Neuzugängen ein. Tom Rakewell hingegen bewegt sich ohne Geld und wirkliche Aufgabe wie entwurzelt durch die unwirtliche Region.
Von Anbeginn überwiegen die Fliehkräfte jene der Bindung an Anne. Wenn ihm in Gestalt Nick Shadows der Gottseibeiuns als vermeintlicher Glücksbote erscheint, dann lässt sich der beruflich unmotivierte jungen Mann von des Teufels geistlichem Kollar und schwarzem Anzug nur zu willig verbürgte Seriosität und rechtmäßige Aussichten auf Reichtum vorspiegeln.
London in einer Videowelt
Regisseur Mikael Serre vertraut bei alledem ebenso auf das gemeinsam Bühne und Videos bildmächtig verantwortende Duo aus Sébastien Dupouey und Stella Sattler wie nicht minder auf Carola Vollaths milieuadäquate Kostüme. Mit einigem Grund. Denn auch Strawinski zeigte sich durch bildende Kunst inspiriert. William Hogarths Gemäldezyklus gab des Komponisten einzigem abendfüllenden Werk mit Operncharakter nicht allein den Namen, es stand überdies Pate für Handlung und Figuren.
Hogarths London des 18. Jahrhundert hat sich auf der Trierer Bühne freilich zur ebenso verspielten wie höchst gegenwärtigen Videowelt gemausert, in der sich Klischees von Big Ben bis Soho collagenhaft ballen, während spacige Architektur wie Norman Fosters 30 St. Mary Axe die Kapitale auf einen anderen Planeten zu beamen scheint. Mag sein, was sich als britische Hauptstadt gibt, ist tatsächlich ein Nachbau auf einem Himmelskörper draußen im Weltall. Das jedenfalls legen wiederholte Ausblicke auf von der Erde mindestens nicht in dieser Nähe und Größe zu beobachtende Gestirne nahe.
Doch ob auf Erden oder in unendlichen Weiten, Rakewell verfällt den erotisch aufgeladenen Bilderfluten und ihren Schlüsselreizen. Satan in Gestalt Nick Shadows hat leichtes Spiel, ihn in die Negativkarriere zu manövrieren. Um den Wüstling mit Baba the Turk zu verkuppeln, muss er ihm die Jahrmarktattraktion nicht einmal mit ihrem die Massen anlockenden Bart präsentieren. Ihr routinierter Showdivenauftritt reicht hin. Die Ereignisse um Rakewells vorgeblich aus Steinen Brot backende Maschine, sein großes Projekt zur Beglückung der Menschheit, finden sich nur beiläufig abgehandelt. Final vertieft sich Serre in die Seele des irregewordenen und sich nun Adonis auf der Suche nach Venus dünkenden Wüstlings, um dessen inneren Regungen empfindsam und beinahe völlig humorfrei nachzuspüren. Solcher Ernst fügt der Figur keine wichtige Dimension hinzu, sorgt aber für leichte Durststrecken.
Musikalische Höchstleistung bei den Soli, in Chor und Orchester
Rundum überzeugt die musikalische Seite der Produktion. Martin Folz motiviert den Chor des Hauses, sich ebenso durchschlagskräftig wie differenziert vernehmen zu lassen. Wouter Padberg musiziert mit dem Philharmonischen Orchester der Stadt die zugleich kristallklaren und höchst artifiziellen Strukturen der Partitur ebenso heraus wie deren meist nicht nur unterschwellige Ironie. Derek Rue bietet für die Titelpartie seinen ebenso schlanken wie wendigen Tenor auf. Bei Daniel Carison reichen Nick Shadows manipulative Register von schmeichlerischen Einflüsterungen bis zur drohend auftrumpfenden Gebärde. Einat Aronstein verleiht Anne Trulove einnehmend silberstimme Emphase. Karsten Schröter gibt Vater Trulove mit gehöriger Bassautorität. Janja Vuletic stattet Baba the Turk auch vokal mit Vamp-Attitüde aus.