In dem exquisiten Ensemble polarisierte einzig die Isolde von Evelyn Herlitzius. Weniger das Publikum, das sich überwältigen ließ, als vielmehr die Kritik, die sich ihre Vorlieben und Abneigungen bestätigte. Nun bleibt bei der Stimme dieser Sängerin ein Rest immer Geschmacksache. Das Timbre, ihr Lodern muss man nicht mögen. Doch was diese derzeit wohl beste Elektra-Sängerin als relativ kurzfristige Einspringerin hier ablieferte, war atemberaubend. Nicht ohne ihre Eigenheiten, aber mit einer Emphase und Leidenschaft, mit grandios freien Momenten und ihrer unglaublichen Präsenz. Dabei hat sie erst bei der Premiere das erste Mal richtig durchgesungen. Denn ihre Elektras in München und Zürich konnte sie nicht mehr absagen, als sie für Anja Kampe einsprang. Auch das übrige Ensemble bot das Festspielniveau, das man in den letzten Jahren mitunter auf dem Grünen Hügel vermisst hat. Stephen Gould ist ein erstklassiger Tristan, völlig mühelos im ersten Aufzug und auch wenn man hier und da bemerkt, dass es eben eine Mörderpartie ist, berührt er mit seinem Timbre ebenso, wie er mit seiner Kondition und Strahlkraft fasziniert. Auch Christa Mayer und Iain Paterson überzeugen durchweg als Brangäne und Kurwenal. In ihrem verzweifelten Kampf, die Katastrophe zu verhindern und sich der alles überwältigenden Anziehungskraft, die zwischen Tristan und Isolde von Anfang an wirkt, entgegenzustemmen. Georg Zeppenfeld beglaubigt als Marke die Umdeutung der Figur durch Katharina Wagner nicht nur szenisch, sondern auch stimmlich. Kein gütiger, alles und jeden verstehender väterlicher Freund, der balsamisch trauert, sondern als König ein Machtmensch der finsteren Art und als Mann ein brutaler Macho, der sich nimmt, was er will. Genau das hört man. Das festspielwürdige Ensemble wird von Raimund Nolte (Melot), Tansel Akzeybek (Hirt und junger Seemann) und Kay Stiefermann (Steuermann) komplettiert.
Sicher kann man gegen Katharina Wagners zweite Regiearbeit (nach den „Meistersingern“ 2007) auf dem Grünen Hügel das eine oder andere einwenden. Aber sie hat entscheidende Vorzüge. Gemeinsam mit dem Produktionsteam (Bühne: Frank Philipp Schlößmann, Matthias Lippert, Licht: Reinhard Traub, Kostüme: Thomas Kaiser) hat sie drei magische Räume gefunden, die jeder für sich packen, aber auch eine Crescendo ins Nichts, in die Auflösung alles Banalen bieten.
Der erste Aufzug ist ein von Escher inspiziertes Labyrinth aus Gerüsten und Treppen, die sich verschieben, abbrechen, in die Irre und aufeinander zu führen. Dieses bühnentechnisch fabelhaft funktionierende Meisterwerk erinnert entfernt auch an Takelage oder ein Schiff. Hier braucht keiner Drogen, weder für den Tod noch für Liebe. Hier schütten sie den Trank gemeinsam weg.
Gegen den Widerstand Brangänes und Kurwenals fliegen sie aufeinander zu. Dass das alles unbemerkt bleiben könnte, glaubt die Regisseurin nicht. Marke weiß Bescheid, sperrt sie ein, beobachtet sie von den hohen Mauern samt Suchscheinwerfern wie Ratten im Versuchslabor. Ein kafkaeskes Psychogefängnis. Kurwenal und Brangäne verzweifeln immer mehr und geben irgendwann auf. Isolde versucht, sich und Tristan vor den Blicken zu schützen. Aber es passiert trotzdem: Das verklärende Dunkel der Liebesnacht. Der versuchte Doppelselbstmord. Und der taghelle Eklat der Entdeckung und der gezückten Messer.
Im dritten Aufzug ist alles Reale im diffus dunklen Nebel aufgelöst. Jetzt sehen wir alles mit den Augen Tristans. Seine Fieberfantasien. Mit den hinten und vorn, oben und unten immer wieder auftauchenden Lichtkegeln, in denen Isolde als Braut, als Witwe, kopflos oder als Hülle ohne Körper erscheint … Der Wahnsinn hat Methode und wiederholt sich 14 Mal, bevor für Tristan alles aus ist. Der Liebestod bleibt Isoldes Wunsch. Wie Cosima nach Richards Tod in Venedig schmiegt sie sich an den Toten, akzeptiert nicht, was die anderen sehen. Bis Marke sie sich schnappt und wegzerrt.
Sicher könnte man die eine oder andere Bühnenaktion auch anders machen. Aber so geht es auch. Und es kommt dem Werk mit seiner Konzentration auf die Macht der Liebe, mit seinem Lösen aus der Welt des Banalen und der Konzentration aufs Exemplarische so nahe, dass es als Gesamtkunstwerk gefährlich wird. Wie schön! Diesmal: keine Buhs für die Regie, sondern allgemeiner Jubel.