traum_141.jpg

Ausgelöscht, wiedererweckt

Hans Krása: Verlobung im Traum

Theater:Badisches Staatstheater Karlsruhe, Premiere:18.10.2014Regie:Ingo KerkhofMusikalische Leitung:Justin Brown

Mit einer Ausgrabung und aufregenden Wiederentdeckung hat die Musiktheatersparte des Badischen Staatstheaters in Karlsruhe die Spielzeit eröffnet: Die Oper „Verlobung im Traum“ des deutsch-tschechischen Komponisten Hans Krása schafft es damit nach ihrer Uraufführung 1933 erst zum zweiten Mal auf eine Bühne – das erste Mal war 1994 am Mannheimer Nationaltheater. Das Badische Staatstheater wählte mit dem 18. Oktober ein symbolisches Datum für die Premiere: Genau vor 70 Jahren wurde der Komponist Hans Krása im Konzentrationslager Auschwitz ermordet. 

 Es gibt eine perverse Nachhaltigkeit der nationalsozialistischen Kulturpolitik. Was sie als entartet geschmäht hatte, Musik, Literatur, Kunst, häufig von jüdischen Künstlern geschaffen, hatte es auch noch lange nach dem Ende der Katastrophe schwer. Dies gilt vor allem für die Musik. Eine ganze Komponistengeneration der Moderne wurde so ausgelöscht, zum Teil sogar physisch. Aber selbst gegenüber jenen, die das Grauen von Krieg, Verfolgung oder Lager überlebt hatten, blieb eine Wiedergutmachung aus. Im Grunde bis heute. Die Werke von Erwin Schulhoff, von Franz Schreker, von Alexander von Zemlinsky oder von Viktor Ullmann erfahren noch immer nicht jene Wertschätzung, die sie eigentlich verdient hätten. Sie sind vielleicht gefeierte Ausgrabungen oder Wiederentdeckungen, aber eben keine Stammgäste im Repertoire.

Auch Hans Krása ist so ein Beispiel. 1899 in Prag geboren, wuchs er in großbürgerlichen Verhältnissen in einer Stadt auf, in der deutsches, jüdisches und tschechisches Leben nebeneinander existierten. Die drei Kulturkreise prägten auch die Familie Krásas: der Vater war Tscheche, die Mutter Deutsche, beide waren assimilierte Juden. Krása zeigte schon sehr früh sein musikalisches Ausnahmetalent, später erhielt er Unterricht unter anderem bei Alexander von Zemlinsky, dem Direktor des Neuen deutschen Theaters in Prag, sowie bei Albert Roussel in Paris. Seine 1933 uraufgeführte Oper „Verlobung im Traum“ war ein großer Erfolg. Den konnte er zunächst mit Instrumentalkompositionen bestätigen, doch die Situation wurde für einen jüdischen Komponisten immer schwieriger. Sein wohl berühmtestes Werk, die Kinderoper „Brundibar“, wurde in einem Prager Waisenhaus erstmals aufgeführt, als sich ihr Schöpfer schon im Lager Theresienstadt befand. Dorthin hatten ihn die Nazis am 10. August 1942 verschleppt. Er bekam dort die Nummer 21885.

Krásas weiteres Schicksal dokumentiert den grausamen Zynismus des Nazi-Apparats. Man ernannte den Komponisten zum Leiter der Musiksektion in der Abteilung für „Freizeitgestaltung“. Krása komponierte selbst unter diesen fürchterlichen Umständen noch einige Werke, vor allem aber organisierte er Aufführungen – unter anderem seiner eigenen Kinderoper „Brundibar“. 55 Mal wurde die Oper in einer eigens für Theresienstadt arrangierten Fassung des Komponisten in dem Lager gezeigt, und die Vorstellung ist erschütternd, dass Kinder, die am Vortag  noch auf der Bühne standen, am nächsten Tag mit einem Zug nach Auschwitz deportiert wurden. Am 18. Oktober 1944 wurde auch Hans Krása  in das Vernichtungslager gebracht.

Vor diesem Hintergrund  will man sich auf die locker-luftige Stimmung, die in „Verlobung im Traum“ herrscht, gar nicht einlassen. Aber diese wunderbare Farce aus der russischen Provinz, die auf Dostojewskis Novelle „Onkelchens Traum“ zurückgeht, ist eben auch ein Beispiel dafür, was im deutschsprachigen Raum, in Europa an modernem, avantgardistischem Musiktheater möglich war, ehe die Nazi-Barbarei alles vernichtete. Sie ist ein Dokument der „Goldenen Zwanziger“, der „Roaring Twenties“. Und genau so versteht auch die Karlsruher Regie von Ingo Kerkhof in der Ausstattung von Dirk Becker (Bühne) und Inge Medert (Kostüme) Krásas „Verlobung im Traum“.

Aus dem Archivar der Rahmenhandlung (stimmlich wie darstellerisch sehr präsent: Armin Kolarczyk) wird ein Conférencier, ein Zirkusdirektor, der uns den Vorhang öffnet für eine turbulente Show, die sich am Ende als Traum, als Spiel, als Schmierenkomödie entpuppen wird. Unterstützt wird er dabei von Nummerngirls, auf deren Schildern nicht nur angekündigt wird, wann der erste Akt beginnt und wann Pause ist, sondern auch, was gerade im Innern der Figuren auf der Bühne passiert: Da ist von Schuld und Sühne ebenso die Rede wie von Glaube, Liebe und Hoffnung. Es wird viel Charleston getanzt, es fliegen die Röcke noch ein bisschen höher als die Beine – und am Ende entschwebt auch Sina (stimmlich der absolute Star des Abends, die neu ans Staatstheater verpflichtete Agnieszka Tomaszewska) in einen Guckkasten-Bühnenhimmel, der über und über von  Leuchtbirnen eingefasst wird.

Spätestens jetzt entlarvt die Regie die Scheinhaftigkeit, das Unechte und Vorgetäuschte der Handlung. Alles ist nur ein Spiel, nichts ist echt, schon gar nicht die Gefühle der Personen.  Dass dies so überzeugend und auch unterhaltsam gelingt, hat mit den darstellerischen Fähigkeiten der Sänger zu tun, allen voran bei Jaco Venter als halbsenilem, am Ende jedoch seine Würde zurückerringendem Fürst. Aber auch Dana Beth Miller als Sinas Mutter, Katharine Tier als Nastassja und Christian Voigt als Paul bewegen sich mit größter Spielfreude in dieser Farce aus der russischen Provinz und bewältigen dabei zum Teil auch schwierigste sängerische Herausforderungen. Und Justin Brown am Pult der Badischen Staatskapelle findet jederzeit den Umschaltknopf, lässt sein Orchester mal jazzen, dann swingen, dann wieder spätromantisch schmachten oder sich neusachlich in Zurückhaltung üben. Denn Krásas Musik ist modern im besten Sinne des Wortes – und war auch deshalb den Nazis verhasst, die alle Errungenschaften der Zivilisation des 20. Jahrhunderts verabscheuten. Dies, und natürlich seine jüdische Abstammung, wurde Krása zum Verhängnis. Was ihn auf die Höhe seiner Zeit stellt, ist der souveräne Einsatz einer Montagetechnik, wie wir sie sonst in dieser Perfektion vielleicht nur bei Strawinsky und Hindemith kennen. Es ist alles da, was uns am frühen 20. Jahrhundert lieb und teuer ist: der emphatische Gestus von Strauss, das Melos von Puccini, die packende Rhythmik von Strawinsky oder Schostakowitsch. Und wo das alles nicht ausreicht, greift Krása dann auch zum wörtlichen Zitat: die Arie „Casta Diva“ aus Bellinis Oper „Norma“. Gesungen von der weiblichen Hauptfigur Sina, kontrastiert mit  „Störgesängen“ der anderen Protagonisten, entsteht einer der aufregendsten Momente der Oper.

Krása nimmt sich jedes gute Recht heraus, kümmert sich um keinen Kanon, keinen musikalischen Wertkonsens. Alles ist möglich, alles ist erlaubt. Er komponiert im Geiste der späten 1920er Jahre, der „Roaring Twenties“ kurz vor der Katastrophe. Man sollte seine Musik wieder spielen, nicht nur, weil wir ihm das schuldig sind, sondern weil sie es verdient hat, gehört zu werden.