Szene aus "Feuerkopf" am Staatstheater Braunschweig

Aufstieg und Fall eines Roten

Manfred Karge: Feuerkopf

Theater:Staatstheater Braunschweig, Premiere:24.09.2021 (UA)Vorlage:Der TalismanAutor(in) der Vorlage:Johann Nepomuk NestroyRegie:Eva Brunner

Mit ihrer anrüchigen Rote-Socken-Kampagne versuchen sich gerade Armin und Co. ins Kanzleramt zu retten. Vor den allzeit gefährlichen Roten warnt auch der Wachtmeister Hammer in Manfred Karges Nestroy-Überschreibung „Feuerkopf“, die noch eben vor der Bundestagswahl am Staatstheater Braunschweig Uraufführung hatte. Gemeint sind freilich die Rothaarigen, die wie Titus Feuerfuchs und die Gänsemagd Salome in Nestroys wienerischer Posse „Der Talisman“ von 1840 für das Fremde, Merkwürdige und Andersartige stehen, das man in der gleichgeschalteten bürgerlichen Ordnung des Biedermeier für in jeder Sicht verdächtig hält.

Es gäbe da also gleich doppelten Anlass für die politische Zuspitzung der Vorstadt-Satire: Die historische Situation verdeutlichen, um soziale Bewusstwerdung zu erzielen. Und die hier nur vordergründig an der Rothaarigkeit festgemachte genetische Ausgrenzung brandmarken.

Beides ist aber gar nicht so leicht, wenn man dabei noch den unterhaltenden Geist der Posse mit Gesang lebendig halten will und nicht gleich ein Brecht’sches Thesenstück auftischen möchte. Karge, der einst von Helene Weigel ans Berliner Ensemble geholt worden war, zieht sich mit einer Art Hausbar-Kabarett aus der Affäre, in der die Nestroy-Handlung als episches Theater moderiert wird und der Prinzipal nebst Gattin wegen ihres abgängigen Ensembles abwechselnd selbst in die verschiedensten Rollen schlüpfen müssen.

Brecht und Nestroy verknüpft

In Braunschweig setzen Regisseurin Eva Brunner und ihr musikalischer Mitgestalter, der Pianist und Cellist Bo Wiget, noch eins drauf. Denn offenbar sind auch die Kulissen verloren und so wird alles vor, mit und im roten Paradevorhang gespielt. Eine schöne Pointe, wie hier Brechts viel geschmähter Eingangsschleier zum Reich der Illusionen umfunktioniert wird zum Illusionsbrecher, mit dem die beiden Theater machen.

Die einst operettigen Nestroy-Couplets werden eher sprecherisch markiert. Dieser Effekt nutzt sich allerdings schnell ab, zumal dabei der Text oft zu leise und verhalten wirkt. So komisch ist das nun auch wieder nicht, wenn ständig mit gerade mal eben falschen Tönen und ohne Vollklang Arie und Kunstlied parodiert werden. Zumal Karge auf politisch forschere, kommentierende, angriffslustige Songtexte verzichtet.

Wenig Analyse und gefährliche Pointe

Und da wären wir beim Hauptproblem der Vorlage: Nestroys Titus Feuerfuchs ist eben kein Feuerkopf, wie Karge sein Stück betitelt, sondern ein ziemlich naiver, auf sein eigenes Fortkommen bedachter Hochstapler. Dabei ist er erotisch wie kulturell weit weniger raffiniert als Thomas Manns Felix Krull. Und so steigt dieser rothaarige Narr dank einer schwarzen Perücke eher zufällig – und ohne dass er die Gunst der ihn usurpierenden Damen je befriedigen muss – auf bis zum Privatsekretär der Gräfin. Um dann nach der Enttarnung wieder rasch seiner Gänsemagd vom Anfang vor die Füße zu fallen. Mit der etwas gefährlichen restaurativen Pointe, dass am Ende wieder gleich zu gleich gehören und man die da oben am besten in Ruhe so weitermachen lässt. Also Revolution lässt sich mit solchen Typen nicht machen. Und Karge lässt das auch so stehen.           

Mit dem uniformierten Hammer baut er allerdings einen strikten Vertreter der Restauration ein und erweitert so Nestroys Vorlage deutlich um den sonst nur mitschwingenden politischen Hintergrund des Biedermeier. In Braunschweig spielt ihn Bo Wiget als bornierten Ordnungshüter mit schweizerischem Akzent, der bei den Roten schlichtweg rot sieht, sie daher auch „lieber tot als rot“ weiß und sich in selber Aufmachung auf einem Gemälde von Otto Dix als Kommunistenfresser wiederfinden könnte. Nur die Gegenstimme bekommt keine richtige Gestalt. Denn der Feuerkopf sinniert eher über seine Identität. Auch durch den Alterssprung – bei Karge spielen ja mit Prinzipal und Frau zwei gestandene Komödianten auch die jungen Leute des Stücks – hängt hier mehr Lebensphilosophie als Gesellschaftsanalyse im Raum.

Gestandene Komödianten

In Braunschweig hat es zwei Komödianten, die den manchmal etwas umständlichen und behäbigen Spielwitzen der Figuren Format geben. Karge fordert immerhin Rhythmus und Reim, merkwürdigerweise nutzt er das nicht, um die Rahmenfiguren von denen der Handlung abzugrenzen. Tobias Beyer ist ein exzellenter Sprecher, der sich agil vom ehrbaren Prinzipal in den immer wieder staunend um sein Selbst-Bewusstsein ringenden Feuerkopf wandelt. Und Gertrud Kohl darf unter ständigem Kleiderwechsel all die Frauen der Karriereleiter verkörpern, soll aber als „Einspringerin“ für die weggelaufenen Schauspieler in keiner Rolle ganz perfekt sein. Das ist manchmal etwas schade, denn sie ist eine wunderbar verruchte Großbürgerin und eine herrlich verhuschte Gräfin.

Als Side-Kick mimt Klaus Meininger schön trocken das Theater-Faktotum, das eingangs den Saal fegt und Requisiten reicht und nachher noch Feuerkopfs Erbonkel übernimmt. Aber die gesellschaftskritische Pointe Nestroys, dass zeitweise das in Aussicht stehende Geld die Rothaarigkeit aufzuwiegen scheint, hat Karge gestrichen. Es hat in der Geschichte eben auch Reichtum nicht vor Verfolgung geschützt.

Am Ende ist dieser „Feuerkopf“ trotz aller Anspielungen auf die „Roten“ eher Nestroy-Hommage und historische Reminiszenz als politisch zupackendes Theater. Der Humor ist so bieder wie die Zeit, die Theater-im-Theater-Situation und das offenbare Rollen-Spielen der Mitwirkenden werden vom Publikum aber dankbar honoriert. Langer Applaus und einige Juchzer, auch für Karge. Als Virtuosen-Stück für zwei Schauspiel-Granden könnte das Stück noch in mancher Theaterbar reüssieren.