Menschen, die sich umarmen! Menschen, die sich küssen! Was auf offener Straße kaum mehr möglich ist ohne den Gedanken, bei den Umstehenden moralisierendes Unbehagen zu erzeugen: Auf der Opernbühne ist es möglich. Und Regisseur Stefan Herheim, der nach dreißig Jahren Götz Friedrich-Ring an der Deutschen Oper Berlin die Neuausgabe von Richard Wagners Trilogie inszeniert, macht ausführlich Gebrauch davon in der „Walküre“ – die „Rheingold“-Premiere zum Ende der vergangenen Spielzeit war coronabedingt entfallen.
Bis sich Siegmund und Sieglinde herzen, vergehen keine fünf Minuten seit Aufschlag des Bruders in Hundings Hütte – er torkelt aus dem Schneegestöber herein in Holzfällerhemd und Wanderhose. Und wenn er schließlich das Schwert Nothung zieht, das hier durch den Tastendeckel eines Konzertflügels gebohrt ist (über Herheims Ironie wird noch zu sprechen sein), dann wird nicht lange gefackelt. Das Schwert als Sexualsymbol tritt in eine bereits aufgeheizte Atmosphäre, Siegmund lässt die Hosen herunter und besteigt die Schwester noch auf dem Flügeldeckel. Großes Berührungstheater auch im zweiten Akt, nachdem Wotan, der Möchtegern-Souffleur der Ring-Welt gleich selbst aus dem Souffleur-Kasten steigt, mit Walküre-Partitur in der Hand. Die Noten bleiben bis zum Ende des Abends auf der Bühne. Sie dienen den verschiedenen Figuren, die die Partitur zum Singen zur Hand nehmen, als Gedächtnisstütze und Stefan Herheim als Mittel zur Distanzierung: Seht her, es ist nur ein Stück, was wir hier aufführen! Gleiches bedeutet die Anwesenheit des Flügels, in dessen Tasten hier jeder einmal greift, zum Geschehen im Orchestergraben Pantomime treibend. Eine Idee, die vor Herheim übrigens schon Barrie Kosky hatte in seiner Bayreuther Inszenierung der „Meistersinger“. Ebenso, dass aus dem Flügel Figuren der Oper steigen.