Foto: I Chiao Shi (im Vordergrund) als Kabanicha in „Kátja Kabanová“ am Theater Ulm © Jochen Klenk
Text:Klaus Kalchschmid, am 1. Oktober 2021
Als man zu Beginn den Orchestergraben überbaut sah, hoffte man noch, dass ein wie auch immer reduziertes Orchester irgendwo auf der Bühne platziert ist. Doch bei den ersten Tönen des Vorspiels der große Schreck, der sich den ganzen Abend immer wieder mehr oder minder manifestierte, obwohl es nicht selten spannende kammermusikalisch dichte Augenblicke gab. Denn die komplexe Partitur des reifen Janáček wurde auf der Hinterbühne einzig von einem Pianisten am Flügel (Vincenzo de Lucia), einem Harmonium (Giovanni Piana) und einer Harfe (Evelyne Zoller) in einer für sich genommen exzellenten Trio-Version des ersten Kapellmeisters Levente Török gespielt, der auch den Abend dirigierte. Geplant war ursprünglich, die konzentrierte Orchesterfassung von Eberhard Kloke aufzuführen, von dem unter anderem. die Corona-Fassungen von „Wozzeck“ und „Rosenkavalier“ an der Bayerischen Staatsoper stammen. Seine „Kátja“ aber ist noch nicht gedruckt und konnte vom Verlag nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellt werden.
Exzellente musikalische Einstudierung, wenig stützende Personenführung
So war das hybride Vorhaben für alle Sängerinnen und Sänger eine große Herausforderung, nicht so sehr, weil sie den Dirigenten, der auf der Seitenbühne stand, nur über Monitore sehen konnten, sondern eher, weil sie in ihrem Singen – in der Originalsprache Tschechisch! – und damit auch in der Verkörperung ihrer Partien so extrem nackt und bloß waren und von der Personenregie von Angela Denoke nur selten gestützt wurden. Dass der bereits vor Corona und dann in dieser speziellen szenischen und musikalischen Fassung im Juni so konzipierte Abend kein Flop wurde, ist der Konzentration und dem Vermögen dieser musizierenden und singenden Protagonisten zu verdanken, die alle mit Herzblut bei der Sache waren und immer wieder große Intensität bewiesen, zumal die Musiker Giovanni Piana und Vincenzo de Lucia auch für die exzellente musikalische Einstudierung verantwortlich waren.
Dabei war das offene Bühnenbild – das hässliche Gerippe eines einstöckigen Gebäudes, in dem sich allerlei Müll, alte Möbel neben vertrockneten Algen angesammelt haben und große Steine den Boden bedecken – akustisch keine Hilfe, im Gegenteil. Regisseurin Angela Denoke erklärt in der Theaterzeitung, der Raum sei inspiriert von den „durch Stalin errichteten Staudämmen in der Moldau und die dadurch überfluteten Orte. Unsere Bühne zeigt eine Ruine im durch Hitze ausgetrockneten Flussbett in der Erwartung der nächsten Überflutung: der immer wiederkehrende Verlust, von Moos bedeckt.“ So weit, so gut, oder eben nicht gut. Denn dass dann alle – vor allem die Frauen – auch mehr oder minder abgerissene, alte, mottenlöchrige Klamotten tragen mussten (Ausstattung: Timo Dentler und Okarina Peter), machte den Abend in einer Weise trist und schwer erträglich, dass man schier verzweifeln mochte. Und man fragte sich, ob es besser wäre, die Oper nicht zu kennen oder fähig zu sein, im Kopf allerlei klanglich und inhaltlich ergänzen zu können.
Heterogenes Ensemble
Die beglückendsten Eindrücke des Abends boten Joshua Spink, neu im Ensemble, als junger Váňa Kudraš und die Mezzosopranistin Eleonora Filipponi als seine Geliebte Varvara: Er mit feinem lyrischen Tenor und zart intensiver Bühnenpräsenz begabt, sie mit sinnlich leuchtendem Mezzo und ebenfalls großer Gestaltungskraft als sein Mädchen, das ihr erotisches Glück einfordert und dann doch nur platonische Liebe erfährt. Wie ja alle in dieser Oper aneinander vorbeileben und –lieben, vor allem Katěrina. Maria Rosendorfsky musste sich mit einem grünen, mehr als bodenlangen Fetzen von Kostüm plagen, war in den leisen, innigen Momente eine wunderbare Kátja, für die großen, leidenschaftlichen, von keinem Orchester gestützten Ausbrüche fehlte freilich das Volumen und der Farbenreichtum ihres gut geführten Soprans. Ähnlich Markus Francke als ihr Geliebter Boris Grigorevič. Auch er hatte schöne Momente, doch das Verquälte dieses Mannes, der nicht zu seiner großen Liebe stehen kann und ganz unter der Fuchtel seines Onkels Savjol Dikoj (Vladislav Solodyagin) steht, war seine Sache nicht. Girard Rhoden war als schwacher, von seiner Mutter, der Kabanicha (I Chiao Shih), drangsalierter Tichon Kabanov, Gatte Kátjas, rollendeckend besetzt.