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Argonautenfahrt in Whatsapp-Deutsch

Kristo Sagor: Iason

Theater:Junges Staatstheater Braunschweig, Premiere:18.05.2018 (UA)Vorlage:Antike ArgonautensagenRegie:Jörg Wesemüller

Erfrischend zeitgeistig: Akutalisierung der Argonautensage von Kristo Sagor am Staatstheater Branschweig

Die großen Fragen auf den Lippen, die Sehnsucht nach Sex, Liebe, Partnerschaft im Herzen und traumtänzerische Neugier im Kopf, was so geht in der Welt. Einfach mal kosten wollen vom Kult der Männlichkeit, bevor man einfühlsam Job- und Ehekarriere macht. Mit Sagen des klassischen Altertums versuchten einst Stubenhocker den Riesenhunger zu stillen. In Zeiten, wo Superheldenfilme im Kino, Computerspiele auf dem Laptop und Pornos auf dem Handy angeboten werden, rekurriert Kristo Šagor mit „Iason“ mal wieder auf die klassischen Überlieferungen als Projektionsfläche für aktuelle Konflikte und Hoffnungen. Deutet die bis in Schwarzmeergefilde ausufernde Mittelmeer-Kreuzfahrt der Argonauten als Initiationsreise Jugendlicher. Der Autor übersetzt die vielfach schwerblütig literarisierte Tour de force in juvenil lässig pointiertes Whatsapp-Deutsch – und arrangiert in forciertem Rhythmus einen flotten Dialog-Ping-Pong.

Regisseur Jörg Wesemüller stellt dazu am Staatstheater Braunschweig fünf Erwachsene als Pubertätsclique an die Rampe, die hibbelig verspielt und unsicher verwitzelt nach Taten drängen. Erstmal machen sie ein paar Namen aus dem antiken Mythos und die Vorgeschichte klar. Übertreiben es dabei körpersprachlich etwas mit dem Jugendlichsein, indem sie zwischen der Imitation von Medienstars sowie lautstarkem Überspielen eigener Verklemmtheit schwanken. Einige melden sich wie in der Schule, wenn sie etwas sagen wollen, und werden bei „den großen Splatter-Momenten“ des Fantasy-Games zu Rambo-idiotischen Ballermännern oder hüpfen einfach vor lauter Ungeduld auf einem Trampolin. Flutschen dann aber schnell in ihre Rollen, wenn sich die Bühne öffnet, die Jasna Bošnjak mit schwarzer Plastikfolie ausgelegt und mit Sternehimmelprospekt als kosmischen Raum gestaltet hat – entsprechend grenzenlos ist die Erfahrungsgier der Protagonisten. Auf Jasons T-Shirt steht „Space“. Ein verdruckster Typ (Cino Djavid) ist das. Scheu, furchtsam, überfordert als Anführer der Argo-Gang. Entdeckt sich aber so nach und nach als handelndes Subjekt und ist dann zielstrebig dabei, seine Aufgabe zu lösen: das Goldene Vlies zu erobern, das in Braunschweig eine gülden gefärbte Jacke ist.

Temporeich wechseln Erzählen und Austoben der Inselhopping-Episoden – mit den immer neu Ruhm und Schätze verheißenden Abenteuern voller Monster, Superbösewichter, Zombies und Frauen. Es geht stets um kämpfen und: Hast du sie gefickt? Aus Mitleid oder Begehren? Also zentrale Themen des Erwachsenwerdens. Einübung von Eroberungskriegen in der Phantasie. „Ein Rausch, das knallt im Kopf.“

Eingestreut hat Šagor die großen Fragen. Beginnend mit: Was ist ein Held? Immer mal wieder wird innegehalten und nach Antworten gesucht. Held? „Einer, der macht, was gemacht werden muss.“ – „Klingt eher nach einem Angestellten.“ – „Ja, muss schon was Besonderes sein, was der macht. Etwas Außergewöhnliches.“ – „Einer, der wagemutig ist.“ – „Mut und Leichtsinn liegen nah beieinander.“ – „Einer, den die anderen für einen Held halten.“ –  „Einer, zu dem die anderen aufschauen.“ – „Einer, an dessen Taten sich die anderen orientieren.“ Ebenfalls im Angebot sind Fragen nach Heimat, Geschichte und Glück. Wozu auch eine 8b-Patenklasse der Produktion im Theater-Foyer ihre Vorschläge versammelt hat. Zum Thema Glück werden die entsprechenden China-Lokal-Kekse mit den eingebackenen Sprüchen serviert, auf Moderationskarten ist aber auch zu lesen: „lange ausschlafen“, „jemanden in die Augen gucken und es meinen“ sowie „der Moment, wenn dein Handy runterfällt, es aber von den Kopfhörerkabeln gerettet wird“.

In der Aufführung ergänzen sich Scherz, Ironie und Bedeutung erfrischend mit unaufgesetzter Leichtigkeit und Direktheit. Die Folgen des Haudegentums werden durchaus reflektiert, Sehnsüchte, Zweifel der Heranwachsenden ernst genommen und Ängste ausgespielt. Vor allem beim Thema erste Liebe. Vorgeschaltet sind One-Night-Stands. Bei denen Iason peu à peu zu Heldenarroganz  heranreift. Auf einem Amazoneneiland lässt er sich von der Königin umgarnen, schläft mir ihr und findet es total cool, dann einfach abzuhauen mit den Worten: „Falls du einen Sohn bekommst, schick ihn nach Iolkos, wenn er groß ist. Dann kann er meine Eltern pflegen, wenn sie alt sind.“ Was jetzt auch schon eine der längeren Sprechpassagen ist.

Dann kommt Medea (Isabell Giebeler). Angerichtet in einer stilisierten Riesenmuschel. Schön wie Helena. Aber wie in den Überlieferungen verliebt sie sich nicht aus eigenem Antrieb in den frisch angelandeten Iason, sondern bedarf dazu der Drogen, die Amor mit einem seiner legendären Pfeile verabreicht. Da sitzt dann Iason wie bei der ersten Tanzstunde neben ihr und kriegt kaum ein Wort heraus, schon fingert sie an seinem Oberschenkel herum. Rockmusik dröhnt los. Knuddeln, knutschen. Zwei ineinander verknäuelte Körper rollen herum. Am Morgen danach stimmt Iason Medeas Deal zu: Sie will von ihm heimgeführt werden ins Eheglück – und organisiert dafür im Gegenzug das begehrte Vlies. Die Aufführung suhlt sich nun darin, dass für einen Moment Liebeglückheimat in versonnener Zärtlichkeit heldisch zusammenkommt. So ist die Fallhöhe definiert. Denn Iason beginnt bald mit dem Selbstbewusstsein, Mut, der Tatkraft und Unbedingtheit seiner Angebeteten zu fremdeln. Das passt nicht zu seiner gerade erst eroberten Männlichkeitsvorstellung. So verguckt er sich in Glauke. Bisschen doof sei sie, aber mit ihr als Gattin wäre Iason endlich König. Also mächtig. Das wollen Helden doch. Und was war nochmal Liebe? „Das Gegenteil von Angst“, sagt Iason. Medea: „Nicht schlecht, aber auch nur Poesie.“ Ein verstummendes „Ach“ haucht sie wie eine Kleist-Figur. Tötet, so wird erzählt, ihre Kinder. Iason: „Hexe. Hure. Barbarin. Sprache ist zu klein.“

Medea, gescheiterte Heldin der selbstaufopferungswilligen Liebe, verlässt die Bühne. Iason,  gescheiterter Held der Machokultur, bleibt freudlos zurück. Šagor erklärt das Prinzip dieses Theaters so: „Iason stillt unsere Gier. Wir brauchen ihn. Weil wir nur Geschichten glauben, die uns berühren. Weil wir nur dann zuhören.“ Dazu wird bestens animiert. Eine stückdienlich gelungene Uraufführung. Jens Fischer