Szene mit Michael Schütz, Olivia Grigolli, Max Simonischek, Paula Hans und Christoph Pütthoff

Appell zum Widerstand

Anna Seghers: Das siebte Kreuz

Theater:Schauspiel Frankfurt, Premiere:27.10.2017Regie:Anselm Weber

Anselm Weber inszeniert „Das siebte Kreuz“ von Anna Seghers am Schauspiel Frankfurt

Es wirkt, als wolle er in sich hineinkriechen, als versuche er, zu verschwinden. Der Fuß zuckt. Die gekrümmten, langen Finger der wuchtigen Hand betasten nervös das Gesicht. Er zittert. Sein Gesicht ist dreckverschmiert, die Haare sind struppig, Blut klebt an seiner Kleidung. Georg Heisler ist auf der Flucht. Ausgebrochen aus dem Konzentrationslager Westhofen mit sechs Mitgefangenen. Der Kommandant des Lagers hat die Kronen von sieben Platanen kappen und mit Querbalken versehen lassen. An diesen Kreuzen sollen die Flüchtigen hängen – alle sieben, in spätestens sieben Tagen. Heisler kämpft um sein Leben und gegen die Angst. „Lieber verrecken in der Wildnis als im Lager krepieren“, fleht er. Wie der Schauspieler Max Simonischek, der schon am Wiener Burgtheater, am Berliner Gorki-Theater, bei den Salzburger Festspielen und in einer ganzen Handvoll Kinofilmen wirkte, das spielt, ist schwer beeindruckend. Man klebt quasi an ihm, während er sich auf dem Bühnenboden krümmt und verausgabt.

1938 hat Anna Seghers im Pariser Exil, in das sie schon 1933 geflüchtet war, mit der Arbeit an ihrem Roman „Das siebte Kreuz“ begonnen. Die Geschichte ist fiktiv, basiert jedoch auf Tatsachenberichten aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen. Weil die Schriftstellerin nicht in Deutschland recherchieren konnte, hatte sie die Handlung in die ihr gut bekannte Gegend rund um ihre Heimatstadt Mainz, wo sie 1900 geboren wurde, verlegt. Dort gab es, in der Nähe von Worms, zu Beginn der Nazi-Herrschaft ein Konzentrationslager mit dem Namen Osthofen. In ihrem Roman beschreibt Seghers, wie dem Kommunisten Heisler auf seiner Flucht vor den Nazis immer wieder geholfen wird – nicht nur von Parteigenossen, sondern auch von eigentlich unpolitischen Bürgern. „Das siebte Kreuz“ ist ein Appell, Widerstand zu leisten, ein Aufruf, auch dann einzuschreiten, wenn es Gefahr bedeutet.

1942 wurde das Buch veröffentlicht. In englischer Übersetzung erschien es in den Vereinigten Staaten, auf Deutsch bei einem Exilverlag in Mexiko, wohin Seghers und ihre Familie mittlerweile weitergeflüchtet waren. 1947 kehrte sie nach Berlin zurück, 1952 übernahm sie die Präsidentschaft des Schriftstellerverbands der DDR. Im sozialistischen Deutschland war „Das siebte Kreuz“ bald Pflichtlektüre in der Schule, im Westen wurde das Werk der bekennenden Kommunistin Seghers lange verschmäht.

Am Frankfurter Schauspiel hat nun Anselm Weber eine Theaterfassung des Romans auf die Bühne gebracht. Die Dramaturgin Sabine Reich hat dafür aus dem 400-Seiten-Buch einen zweistündigen Theaterabend gemacht. Das Stück ist Webers erste eigene Regiearbeit in Frankfurt, seit er dort die Intendanz übernommen hat. Dass ein Großteil von „Das siebte Kreuz“ in der Stadt am Main spielt, dürfte bei der Entscheidung, mit dieser Inszenierung seinen Frankfurter Einstand zu geben, sicherlich eine Rolle gespielt haben. Aber auch, dass das Buch noch ein unverbrauchter Bühnenstoff ist. Seghers’ Roman, das bis heute am häufigsten verkaufte Werk des Aufbau-Verlags, wurde bislang erst ein einziges Mal in Deutschland fürs Theater adaptiert: 1981 in Schwerin.

Als Kulisse für die Geschichte wählt Weber einen leeren, dunklen Raum. Gespielt wird nicht auf der eigentlichen Bühne, sondern vor dem Vorhang. Raimund Bauer hat dafür ein unscheinbares Holzplateau entworfen, das in den Zuschauerraum hineinragt, die Darsteller sind in schwarze Kostüme (von Irina Bartels) gehüllt. Spartanisch und düster wirkt die Szenerie. Nichts soll hier ablenken von den Schauspielern, von den Figuren, ihren Geschichten und Biografien. In kurzen Szenen werden die Stationen von Heislers Flucht beschrieben. Er trifft auf alte Freunde, einen Mithäftling, eine Prostituierte oder eine Schneiderin. Seine Mutter zerreißt sich vor Sorgen, seine Geliebte Leni, die der Fliehende in Frankfurt als Erste aufsucht, hat sich in der Zwischenzeit einem Nationalsozialisten an den Hals geworfen. Ihren früheren Partner verleugnet sie nun. Im Chor schildert das Ensemble die Handlung.

Und es wird gesungen. Der südafrikanische Bassbariton Thesele Kemane interpretiert Lieder aus Franz Schuberts „Winterreise“. Sieben dieser kurzen Stücke singt er. Sie leiten jeweils die sieben Tage, die Heislers Flucht dauert, ein. Die Texte hat der romantische Dichter Wilhelm Müller geschrieben. Auch sie erzählen von einer Wanderung, vom Leid, von der Verzweiflung. Indem der Regisseur diesen berühmten Liederzyklus aus der Romantik dem Roman nebenan stellt, aber auch durch den Verzicht auf historisierende Requisiten, macht er seine Seghers-Bearbeitung zu einem zeitlosen Stoff – und schließt sich so der Deutung von Marcel Reich-Ranicki an, der „Das siebte Kreuz“ 1962 in der ZEIT als einen „Roman gegen die Diktatur schlechthin“ beschrieb.

Webers Seghers-Adaption ist klassisches Schauspielertheater, seinen Darstellern rollt der neue Frankfurter Intendant buchstäblich den roten Teppich aus. Es ist viel Raum für Gesten, Ausbrüche und Körpereinsatz in dieser Inszenierung. Das kann man konventionell nennen, dem aufwühlend-berührenden Text von Anna Seghers wird diese Form aber gerecht.