Der jungen Regisseurin Beatrice Lachaussée gelingt es überzeugend, die Symbolik in Sprache und Musik zu konkretisieren, Lenz‘ Zustand auf den für ihn unüberbrückbaren Zwiespalt aus Sehnsucht nach bürgerlicher Lebenssicherheit und der Unbedingtheit einer künstlerischen Existenz zurückzuführen. Dabei lädt sie den kargen Raum mit möglichst großen Bildern auf, die die Nähe zum Kitsch nicht scheuen. Da tragen die Kinder feierlich die Leiche einer Mädchenpuppe über den Steg und singen von der Orgelempore aus. Da werden die „Solo-Stimmen“ als auf einer Mini-Tribüne aufgereihte Bauern-Gemeinde im Sonntagsstaat hereingefahren oder versammeln sich wie Geister auf der Kanzel. Manches gerät da eine Spur zu einfach, zu direkt. Dazu bricht sich abgestandene Operngestik Bahn, dominieren abgezirkelte, Haltungen illustrieren sollende Armbewegungen und stellen sich vor die Radikalität des Entwurfs.
Aber über solche Momente trägt die Musik. Das Stimmen-Sextett und die Kinder singen wundervoll, Wolf-Matthias Friedrich und John Heuzenroeder schaffen schlüssige Porträts von Pfarrer und Wissenschaftler, mit gelinder Übertreibung der eine, mit fast penetranter Sachlichkeit der andere. Der junge argentinische Dirigent Alejo Perez führt Sänger und Musiker sicher und leidenschaftlich. Vielleicht der unausgeglichenen Akustik der Kirche geschuldet, präpariert er die einzelnen Klangfarben des spröde instrumentierten Kammerorchesters heraus, weist Schlagwerk und Cembalo nahezu eine Erzähler-Funktion zu, grundiert von den grummelnden Celli, kommentiert von Aufschreien der Solostimmen aus dem kargen Bläsersatz. Jede Note, jeder Einsatz führt auf das dramatische Geschehen hin, das seinerseits durch seine Statik, sein besessen anmutendes Aneinanderreihen von nach innen führenden Bedeutungspartikeln auf die Musik zurück verweist. Eine seltene, fast das Ideal von Oper streifende Symbiose.
Im Herbst wird sich Andrea Breth in Stuttgart an dem spannenden Werk versuchen.