Michaela Riener (M.) und Ensemble in "Machinations" von Georges Aperghis

Ambitioniertes Stückwerk

Georges Aperghis, Yannis Kyriakides, Luigi Nono: Homo Instrumentalis

Theater:Gebläsehalle Duisburg, Premiere:21.09.2017 (UA)Autor(in) der Vorlage:Sophokles (Kyriakides: Ode to man I)Regie:SilberseeMusikalische Leitung:Romain Bischoff

Es gehört zu den Stärken der Ruhrtriennale unter Johan Simons, einzelne Projekte über seine dreijährige Intendanze hinweg in einer Art von Serien- oder Reihenstruktur miteinander zu verklammern. So gab es etwa im letzten Jahr ein großartiges Konzert mit Werken von George Aperghis – und die„Machinations“ dieses in Deutschland zu selten aufgeführten Komponisten stehen nun im Mittelpunkt von „Homo Instrumentalis“. Gleichzeitig steht diese Arbeit des niederländischen Musiktheaterkollektivs Silbersee am Ende einer kleinen Reihe, die das Grenzland von Konzert, Performance und Theater erforscht. 2015 wurden da für Nonos „Prometheus“ Orchestergruppen um das Publikum herum vertikal im Raum angeordnet. Einziger theatralischer Reiz hier war die Lichtregie. 2016 gab es „Earth Diver“, ein Filmkonzert als Rauminstallation. Die Zuschauer saßen um einen Bühnenturm herum, ein Chor bewegte sich um sie herum, zwischen ihnen. „Homo Instrumentalis“ nun spielt in einer ‚normalen‘ Theatersituation. Eine schlanke Bühne steht in der Duisburger Gebläsehalle. Das Auditorium ist ‚normal‘ angeordnet. Man hat nummerierte Plätze. ‚Normales‘ Theater findet dennoch nicht statt.

Die Idee von „Homo Instrumentalis“ ist hochambitioniert. Mit vier Musikstücken, darunter zwei Uraufführungen des 1969 in Griechenland geborenen, in Großbritannien aufgewachsenen und in den Niederlanden künstlerisch sozialisierten Komponisten Yannis Kyriakides, möchte Silbersee eine Art über die Gegenwart hinausgehende Geschichte des menschlichen Fortschritts erzählen. „Ode to man, part I“ kommt rituell daher, mit Texten aus Sophokles‘ Antigone. Vier Sängerinnen kreieren, in langen, strengen Gewändern, einer Art mystizistischer Funktionskleidung, an der Rampe aufgereiht, den Grundzustand einer Zivilisation, unterstützt von analog erzeugtem Rauschen in unterschiedlicher Intensität. Nonos „fabricca illuminata“, ein gnadenloser, gnadenlos polemischer Blick in die Arbeitswelt, erscheint dann behutsam inszeniert. Eléonore Lemaire, deren kostbar dunkel schimmernder Sopran diese Musik spielend bewältigt und doch nicht für sie geschaffen zu sein scheint, kauert zunächst auf einem Gerüst hinter der Bühne, während sich unten Schemen vorbeischleppen. Die Schemen werden Menschen, Lemaire schließt sich ihnen an. Die im Jahr 2000 uraufgeführten „Machinations“ von Georges Aperghis sind nicht nur, weil sie die Hälfte der Dauer in Anspruch nehmen, das Zentrum dieses Abends, brillante musikalische Rhetorik, zwischen präzivilisatorischem Gestammel und spitzfindig intellektueller Thematisierung des Gegensatzes Mensch – Maschine. Es ist unterhaltsam, bestrickend anzusehen und momentweise auch bewegend, was die vier Sängerinnen und vier Tänzer hier anstellen, ihre Klang- und Körperakrobatik, ihr geschmeidiges, elegantes Zusammenwirken. Auch die französische Textgestaltung  des Philosophen Francois Regnault packt, ohne dass man sie verstehen müsste. Die vielen Anläufe, die merkwürdigen Kettenreaktionen und Zersplitterungen, die An- und Abstoßung, die Sehnsucht nach Gruppen- und Paarkonstellationen, die größere nach Individualität ist heutig und erinnert doch manchmal von fern an Samuel Beckett – an den Kanten abgeschliffen und comichaft beschleunigt, versteht sich. Auch Aperghis‘ Klänge arbeiten mit Wiederholungseffekten, mit variierend wiederkehrenden Mitteln. Und sie haben Witz. Am Ende noch einmal Yannis Kyriakides, ein kurzes Elektronikstück ohne Stimmen. Der Mensch ist in der kosmische Dimensionen erobernden Maschine verschwunden.

Rein strukturell hat der Abend Stringenz. Dem rituellen Stück für Stimmen folgt ein Stimmsolo mit Tonband, eine Stimmensinfonie, in der die digital erzeugte Elektronik nach und nach eine Führungsrolle beansprucht und ein reines Elektronikstück. Dramaturgisch bleibt diese Stringenz Behauptung. Natürlich gibt es ein Einheitsbühnenbild mit einem eleganten, beweglichen bühnenbreiten Raumteiler, der auch als Projektionsleinwand fungiert. Auch die Kostüme von Dieuweke van Reij passen in ihrer rationellen, funktionalen, ästhetisch attraktiven Einfarbigkeit zueinander. Aber die Kompositionen erscheinen nicht einen Momant lang aufeinander bezogen. „Ode to man“ und „la fabricca illuminata“ beschreiben Zustände, die unbeteiligt, unverbunden nebeneinander stehen. „Machinations“ dagegen ist dynamisch, birst fast vor Bewegung, beschreitet und beschreibt Wege, kreist um sich, was die großartige Choreographie von Johannie Saunier auch auf herausragendem Niveau gestaltet. In der Binnenstruktur werden ständig Zustände gegeneinander gestellt, Distanzen überbrückt und neu geschaffen. In der Makrostruktur gelingt das nicht, scheint nicht einmal beabsichtigt. Wieder einmal ist viel nachgedacht worden bei der Ruhrtriennale. Aber die Gedanken und Ideen werden nicht produktiv für das Spiel, sondern stellen sich zwischen Aufführung und Zuschauer. Das scheint den Theatermachern sogar bewusst zu sein. Anders sind die prätentiösen, von wenigen stimmigen Dokumentaraufnahmen abgesehen, plump illustrativen Videos kaum zu erklären, die sich auch und besonders an der hier an sich unnötigen Textprojektion abarbeiten, sie mit Reizen einrahmen und bis zur zeitweiligen Unlesbarkeit ausgestalten. Da sieht man dann nur noch Buchstaben ohne Inhalt oder Bedeutung. Natürlich ist auch das eine Aussage.