Sofia Pavone, Nathan Haller, Sebastian Wartig, Ye Eun Coi und Karl-Heinz Brandt

Abgefeimte Psychospiele

Erich Wolfgang Korngold: Die tote Stadt

Theater:Theater Basel, Premiere:17.09.2016Regie:Simon StoneMusikalische Leitung:Erik Nielsen

Die Direktion von Andreas Beck am Theater Basel geht zwar schon in die zweite Saison, trotzdem ist die erste Opernpremiere jetzt noch Teil des Startes – nachdem das toll gestartete Schauspiel der Oper bisher den Rang abgelaufen hatte, holt sie mit der Neuproduktion der „Toten Stadt“ jetzt mit Nachdruck auf. Erich Wolfgang Korngolds Erfolgsoper von 1920 ist der Einstand des neuen Musikdirektors: Erik Nielsen übernimmt und das Sinfonieorchester Basel demonstriert, wie es seinen Gestaltungswillen mittragen will. Diese „Tote Stadt“ ist aber auch das Operndebut des gefeierten Schauspielregisseurs Simon Stone: „Hausregisseur“ am Theater Basel ist eine Position, die  nicht nur in einer Sparte arbeitet. Letzte Saison fand Julia Hölscher einen spannenden Zugang zur „Zauberflöte“ nach dem auch in Wien und Berlin gefeierten „John Gabriel Borkman“ packt nun Simon Stone durch seine genaue Psychologie und den klaren Zugriff auch im Musiktheater.

Dabei beginnt alles aseptisch unterkühlt. Paul ist ein Spiesser mit Hut und Anzug, seine Wohnung von der Sofabdeckung bis zur Klobürste blendend weisse Bühne für seinen Kult um und für die verstorbene Marie – Krebs, bietet der kahler Kopf ihrer zahlreichen Wiedergängerinnen als Erklärung an. Diese Bühne richtet er mit Latexhandschuhen penibel genau her bis zur Unterwäsche auf dem Schlafzimmerboden. Die Kartons mit allen Requisiten bewahrt er im Aktenschrank-Schrein seines polaroidtapezierten Gedenkraumes auf. Sein Freund Frank scheint neben der Haushälterin Brigitta (Eve-Maud Hubeaux lässt mit ihrem satten Alt und vorbildlicher Diktion aufhorchen) der einzige Mensch zu sein, der je einen Fuss hier hereinsetzt. Bis die Tänzerin Marietta auftaucht, in der Paul die wiedergeborene Marie zu erkennen glaubt. Für sie und mit ihr belebt er seinen Bungalow. Ja, sie reißt ihn förmlich auseinander – wie Pauls Leben. Wo genau beginnt sein Traum, der mit der Ermordung Marietta endet? Wohl mit dem hier zur Karaoke-Nummer gemachten „Lied Mariettas“: Glück, das mir verblieb. Es täuscht, wenn Regisseur Stone Arbeit (ähnlich wie Arbeiten Dmitri Tscherniakovs) anfänglich etwas brav aussieht: Es braucht diese genau gestaltete Folie, um Stück für Stück und hochüberzeugend den Wahnsinn einbrechen zu lassen. Da führen Türen plötzlich ins Nichts, plötzlich läuft die Dusche im ersten Stock und Maries tauchen da auf, wo man sie nicht erwartet hätte. Auch der gespentische Auftritt des Chores inklusive Knaben- und Mädchenkantorei als lauter Doppelgänger, besticht in seiner szenischen Wirkung. Das ist theaterwirksam und macht das symbolistisch aufgeladene Stück überaus plausibel.

In Helena Juntunen und Rolf Romei hat Stone dafür sehr intensive Darsteller zur Verfügung. Ihre Beziehung steht im Zentrum und ist mit der Genauigkeit des Schauspiels gestaltet. Juntunen singt zwar mit sehr grossem Vibrato, füllt ihre Figur aber auch vokal mit enormer Bandbreite von mädchenhafter Leichtigkeit bis zu den vollsaftigen Strauss-Linien, die ihr Korngold abverlangt. Da kann Romei leider nicht mithalten. Sein Debut geht gut, solange er ganz lyrisch bleiben oder deklamieren kann. Dabei klingt er allerdings operettiger, als es passen würde. Und schon im ersten Akt bricht ihm die Stimme mehrfach weg. Wo Dramatik, heldischere Farben verlangt sind, geht er vokal unter – was sich auch in hauchigen und kopfigen Piani äussert.Er rettet sich mit dem intensiven (leisen) Schluss. Gute Figur macht dagegen der junge Sebastian Wartig aus dem Ensemble der Semperoper: Kernig-metallisch glänzt sein Bariton in allen Lagen, balsamisch sein Legato und Piano in seinem Hit „Mein Sehen, mein Wähnen“. Das auch, dank Dirigent Nilsen: Er bleibt der süffigen Melodik des Stücks nichts schuldig, macht aber auch viele Details der Instrumentierung hörbar und dreht nie zu viel auf.

Pauls Welt bricht immer weiter auseinander. Der Kontrast zum lockeren Künstlermilieu, das Ralph Myers‘ Bühne mit ein paar getauschten Requisiten erstaunlich einfach zeigen kann und damit der Kontrast zwischen seinem Verhaftetsein im Tod und dem lockeren Zerbinetta-Leben ist unüberbrückbar, das ist rasch klar. Frank will Paul nach dem Auftauchen aus seinem Traum zum Weggehen bewegen. Er verbrennt zwar seine Reliquien, bleibt aber in seiner Küchen sitzen. Dass er das mit einer Bierflasche tut, könnte trotzdem eine positive Entwicklung anzeigen.

Eine postive Entwicklung ist mit dieser begeistert aufgenommenen Produktion auch der Basler Opernsparte gelungen. Das lässt hoffen.