Willkommen im neuen Nest
Foto: Das Gebäude der Wiener Staatsoper für junges Publikum NEST © Wiener Staatsoper / Sofia Vargaiová Text:Regine Müller, am 17. März 2025
Auch die Wiener Staatsoper leistet sich jetzt eine eigene Spielstätte für junges Publikum: das NEST. Doch die erste Kinderoper – Thierry Tidrows „Sagt der Walfisch zum Thunfisch“ – geriet leider zur Kopfgeburt.
Allen Weltkrisen und innerpolitischem Chaos zum Trotz wird in Wien in Sachen Kultur unbeirrt geklotzt und nicht gekleckert. Satte 22 Millionen Euro ist der Stadt 2025 allein der 200. Geburtstag von Johann Strauss (Sohn) wert, der sich neueren Forschungsergebnissen zufolge korrekt mit „ss“ schreibt.
Bereits im Dezember wurde sogar ein nagelneues Opernhaus eingeweiht. Die Staatsoper hat sich am Karlsplatz gegenüber vom Haupteingang des Musikvereins eine weitere Spielstätte gegönnt, die „Neue Staatsoper im Künstlerhaus“, kurz NEST genannt – als Akronym aus NEue STaatsoper. Die Vorgeschichte reicht Jahre zurück: Der Strabag-Milliardär und Kunstmäzen Hans Peter Haselsteiner sanierte erst für 40 Millionen Euro die Albertina Modern im Künstlerhaus und hat nun mit seiner Stiftung auch die neue Spielstätte der Staatsoper mit 20 Millionen Euro mitfinanziert, der Bund steuerte vergleichsweise bescheidene fünf Millionen zur Finanzierung bei.
Mäzen
Im Magazin des Wiener Bühnenvereins begründet Haselsteiner die ungleiche Verteilung der Finanzierung wie folgt: „Ich habe gesagt: Gebt mir einen Zuschuss, der mich glauben lässt, dass es ein gemeinsames Interesse für dieses Projekt gibt.“ Haselsteiner ist ein Mäzen großen Stils, in die Tiroler Festspiele Erl hat er insgesamt 100 Millionen investiert und schießt jährlich weitere Millionen zu.
Das NEST-Projekt liegt ihm besonders am Herzen, da hier die Kunstform Oper Kindern und Jugendlichen zugänglich gemacht werden soll: „Nur so können wir garantieren, dass wir Kulturland Nummer eins bleiben.“
Festakt zur Eröffnung
Beim Festakt zur Eröffnung des NEST erklärte Staatsopernchef Bogdan Roščić: „Zunächst soll es einfach ein ideales kleines Theater sein, mit großartiger Akustik übrigens – näher kann man der Musik nicht kommen.“ Seine Haltung formuliert Roščić betont offensiv: „Die Staatsoper darf keine Zielgruppe haben. Sie muss für alle da sein.“ Die Kassenhalle im NEST ist ebenerdig, ebenso die Garderobe und eine kleine Snackbar, der Saal ist im zweiten Stock untergebracht, bietet 248 Sitzplätze und durch einen steilen, dynamischen Anstieg kleinen und großen Menschen bis in die letzten Reihen gute Sicht. Alle Sitze sind ausbaubar, um immersive Inszenierungsvarianten zu ermöglichen, es gibt auch einen geräumigen Orchestergraben, die Bühne bietet 85 Quadratmeter. Insgesamt 96 Veranstaltungen sind in der ersten Saison gelistet.
Raum für experimentelle Formate
Das NEST ist keineswegs eine reine Kinderoper, sondern will auch experimentellen Formaten Raum geben. Etwa für die Theatergruppe Nesterval, die im Dezember das gesamte Haus mit Wagners „Götterdämmerung“ immersiv bespielte, hier galt eine Altersempfehlung ab 16 Jahren. Das Ensemble ist in der Off-Offszene Kult und versteht sich als „queeres Volkstheater, das Klassiker der Literatur- oder Theatergeschichte in die Jetztzeit übersetzt, überzeichnet und dekonstruiert“.
Zur Eröffnung aber gab’s eine echte Kinderoper oder besser gesagt das, was die Macher für eine Kinderoper halten. Grundsätzlich war es zwar goldrichtig, mit der Uraufführung einmal nicht auf politisch korrekte Unterforderung und niedrigschwelliges „Abholen“ zu setzen.

Hannah-Theres Weigl (l.) und Florentina Serles in der Uraufführung „Sagt der Walfisch zum Thunfisch” von Thierry Tidrow. Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Basierend auf einem Kinderstück von Carsten Brandau will Thierry Tidrows „Kinderoper für drei Sänger:innen und kleines Orchester“ aber eindeutig zu viel und versteigt sich unfreiwillig in jene schwer zugänglichen Operngefilde, die nicht nur Kindern häufig verschlossen bleiben. Es geht schon los mit der Besetzung: Die beiden Hauptrollen ICH und DU sind mit Hannah-Theres Weigl (Sopran) und Florentina Serles (Mezzo) mit hohen Stimmen besetzt, für die Tidrows Partitur vorwiegend exponierte Lagen vorsieht. Der Textverständlichkeit sind so Grenzen gesetzt.
Arche Noah als Raumschiff
Auch die Inhaltsangabe liest sich verkopft: Es geht um zwei Wesen, die sich in umständlichen Sprachspielen voneinander abgrenzen, um die eigene Identität zu finden. Es folgt eine Sintflut (wissen heutige Kinder noch, was das ist?), und dann landet statt der Arche Noah ein Raumschiff auf der Bühne. Nanna Neudecks Bühne zeigt ein Schiffsdeck, auf dem eine Band thront, die von einem gewissen NOE (Alex Ilvakhin, Bariton) geleitet wird. Als Kapitän des Schiffs verkündet er schließlich die Sintflut. DU und ICH können aber nicht schwimmen, außerdem will NOE nur Menschen mit Instrumenten an Bord nehmen, „von jedem zwei“. Schließlich bringt das ICH-und-DU-Duo den knarzigen NOE mit einem Witz zum Lachen und damit dazu, die Band an Deck zusammenrücken zu lassen.
Der „Witz“ geht so: „Sagt der Walfisch zum Thunfisch: Was soll ich tun? Fisch? Sagt der Thunfisch zum Walfisch: Du hast die Wahl! Fisch!“ Ein Junge aus dem Publikum fragt dann auch ungläubig „War das ein Witz?“, tatsächlich ist das Wortspiel nur begrenzt lustig, erst recht für Kinder ab sechs. Als Ausgleich dazu gibt es Passagen, in denen nur „Bumm! Bumm!“ oder „Plitsch! Platsch!“ gesungen und gesprochen wird.
Ambitioniertes Opernprojekt
Regisseurin Sara Ostertag tut, was sie kann, um das Geschehen etwas zu erden. Die beiden Sängerinnen arbeiten sich umständlich aus wulstigen Teletubby-Kostümen heraus, das sieht putzig aus. Dann wurschteln sie unablässig mit Fels-Elementen aus Styropor herum, bauen Treppen, Türme und Sitzgelegenheiten. Gegen Ende spuckt eine Kanone einen riesigen Schaumberg aus, der auf der Bühne fröhlich vor sich hinsuppt und in dem es sich wunderbar waten und rudern lässt.
Thierry Tidrow hat eine gemäßigt neutönende Musik komponiert. Seine Tonspur stört nicht weiter, liefert manchen lautmalerischen Effekt, bleibt aber auch nicht im Ohr hängen. Das hoch ambitionierte Opernprojekt lässt ein bisschen ratlos zurück. Gut gemeint ist eben noch lange nicht gut gemacht. Sehr freundlicher Beifall feiert am Ende vor allem und zu Recht die prächtige neue Spielstätte.
Regine Müller ist immer wieder begeistert von der Fülle, Breite und Qualität des Kulturangebots in Wien. Kunst ist hier Stadtgespräch und nicht Dekor oder Biotop für behauptete Eliten.
Dieser Artikel ist erschienen in Heft Nr.2/2025.