Man sieht den Zuschauerraum des Markgrafentheaters in Erlangen.

Kein Mauerblümchen

Erlangen ist weit mehr als eine kleine Großstadt im Schatten Nürnbergs. Die Menschen und die Lokalpolitik wissen das zu schätzen.

Inmitten der berüchtigten Städtekonkurrenz zwischen Nürnberg und Fürth schmiegt sich Erlangen ein wie die davon unberührte Dritte. Zwischen der Frankenmetropole Nürnberg einerseits mit dem Selbstbewusstsein, mindestens die zweite Hauptstadt des Freistaats Bayern zu sein, und der alten Arbeiterstadt Fürth, die sich im Schweiße ihres Angesichts nach eigenem Eindruck vor dem großen Metropolregionennachbarn nicht wegzuducken habe, ist Erlangen das Mauerblümchen, das gar kein Mauerblümchen ist. Nicht verschämt, sondern lässig selbstbewusst. In Erlangen blühen Lebensqualität und Kultur rosenrot. Es ist eine sehr moderne Stadt im altfränkischen Mantel, mit gewieftem Understatement. Man ist ganz bestimmt keine Konkurrenz in irgendwelchen Fußballligen, hat aber ein gewaltig hohes Niveau in der Kunstproduktion.

Mal Standbein, mal Spielbein ist dabei das Theater: sehr mittendrin in der Studenten-, Bürger- und alten Markgrafenstadt. Das Theater hat hier Tradition. Erlangen ist ein Musterbeispiel für den Umstand, wie sehr die territoriale Vielstimmigkeit in der deutschen Geschichte zur Vielfalt der Theaterlandschaft geführt hat. Das Theater war ein Herzenswunsch der Hohenzollern-Markgrafen von Brandenburg-Bayreuth für eine ihrer Residenzstädte.

Heute liegt es mit dem Selbstverständnis eines pochenden Herzens mitten in dieser barocken Flanierstadt. Man kann beim Stadtspaziergang sogar durch es hindurchgehen. Weshalb es auch in der allgemeinen städtischen Wahrnehmung gut sichtbar ist. Auch inhaltlich. Auch nachbarschaftlich. Es gab da in den vergangenen Jahren nie nur das klassische Spielplanangebot, sondern „immer wieder in unterschiedlichen Formaten und Herangehensweisen partizipative Projekte“, sagt Katja Ott, die scheidende Intendantin des Theaters Erlangen.

Komplett am Puls der Zeit

In Kommunikation treten, im Austausch sein, in den Stadtraum hinein wirken, niedrigschwellig sein: Das ist ja nun ein Credo des Theaterschaffens, das allgemein landauf, landab immer mehr Bedeutung bekommt. In Erlangen gilt das ganz bestimmt, ganz konkret und schon recht lange. Da ist zum einen das Haupthaus voll barocker Ausstrahlung, Mitte des 18. Jahrhunderts gestaltet vom venezianischen Bühnenarchitekten Giovanni Paolo Gaspari und 1719 ausgestattet mit folgenden Requisiten: „3 Schiffe, 1 Schelch, 3 Thröne, 2 Elephanden, 1 Löw, 1 Tiger-Thier, 1 Triumph-Wagen, 6 Wasser-Wellen“. Die Requisiten sind zwischenzeitlich mehr und andere geworden. Die Spielstätte hat diesen Glanz des Barocks behalten, gilt als älteste bespielte Barockbühne in Süddeutschland. Man hat aber auch komplett andere Spielstätten wie das Theater in der Garage, das noch inniger mittendrin ist, zwischen lauter Kneipen in den rundum entspannten Bummelstraßen der Stadt. Außen gemütlich, innen komplett am Puls der Zeit. Da geht’s dann schon auch mal um „(R)Evolution“, Utopie und Zivilcourage.

Erlangen von oben. Aufgenommen mit einer Drohne, sieht man unten den Schlossgarten mit Orangerie, dahinter liegt das Markgrafentheater, rechts Bäume, weiter hinten ragt eine Kirche raus und der Burgberg, links hinten der Lange Johann.

Erlangen von oben. Blick auf den Schlossgarten und die Orangerie. Rechts dahinter das Markgrafentheater. Foto: ETM Daniel Böhm.

Zu den Traditionslinien des örtlichen Theaters und der örtlichen Kulturszene überhaupt gehören das barocke hohenzollersche Markgrafen-Outfit der Stadt, das Studentenleben, die seinerzeitige Hugenotten-Hochburg und eine lange, starke sozialdemokratische Vergangenheit. Worin sich womöglich das Bedürfnis nach dem Niederschwelligsein erklärt. Spürbar ist in Erlangen nicht nur der Zuspruch der Menschen, des Theaterpublikums, auch des erkennbar jüngeren, sondern der Lokalpolitik schlechthin.

„Wir haben nicht das Gefühl, dass unsere Arbeit nicht anerkannt wird“, sagt Ott. Und Anke Steinert-Neuwirth, Referentin für Kultur, Bildung und Freizeit in Erlangen, konstatiert: „Das Theater Erlangen ist fest verankert innerhalb der Stadtgesellschaft.“ Das Haus sei keinen Sparzwängen unterworfen, stattdessen gelte: „Tarifsteigerungen werden im städtischen Etat ebenso mitberücksichtigt wie auch der erhöhte Sachmittelbedarf aufgrund der allgemeinen Kostensteigerungen. Ich bin sehr froh, dass unser Erlanger Stadtrat voll hinter dem Theater steht und somit künstlerisch so gearbeitet werden kann, wie sich das ein Theater für seine Stadt und sein Publikum wünscht.“ Durch die Coronazeit ist das Haus stabil finanziert gekommen.

Es ist dabei keineswegs nur das Theater, das Erlangen zu einer gut zu bereisenden und bewohnenden Kulturstadt macht. Inspirierend, stark und klug sind beispielsweise auch die Ausstellungen im Kunstpalais. Erlangen ist Festivalstadt mit seinem Internationalen Figurentheater-Festival, seinem Internationalen Comic-Salon und seinem Erlanger Poetenfest. Die freie Kultur- und Kreativszene hat seit geraumer Zeit eigene Räumlichkeiten: ein ehemaliges großes Haushaltswarengeschäft. „Man merkt, dass Kunst und Kultur für die Größe der Stadt einen hohen Stellenwert haben“, sagt Katja Ott.

Stadttheater der Zukunft

Und es gibt eben auch das Theater. Das befährt immer auch „eine Spur neben dem reinen Spielplan“, sagt Ott. Es gibt große Projekte mit allen möglichen Gesellschaftsgruppen in der Stadt, in denen es um gesamtgesellschaftliche Themen geht – aber eben auch um ein „Stadttheater der Zukunft“. „Wir loten immer aus: Was will die Stadtgesellschaft?“, sagt Ott dazu. Und draußen, am Theaterhof, steht neuerdings ein Bus, in dem auf berückend direkte und nahe Art Stücke für Kinder und Jugendliche zu sehen sind. Ein Riesenspaß.

Man sagt in Pädagogensprache gern, man solle Kinder und Jugendliche da abholen, wo sie stehen. Der Bus macht’s jetzt, bildlich gesprochen. Diese Zielgruppe wird vom Theater Erlangen ohnehin beispielhaft abgeholt, etwa mit dem Projekt der Kulturwiesel, Kulturfüchse und Kulturfalken für Kinder verschiedener Altersgruppen. Gut geht auch die Reihe „Es war einmal“ mit unterschiedlichen Kindergeschichten. Und gut gehen auch die Spielclubs und vor allem das Bürgertheater, das das Vernetzen in die Stadt weiter voranbringt und zuletzt vom Thema Pflege handelte. Das war beeindruckend und ergab „berührende Reaktionen“, sagt Ott. Wünsche gibt es freilich immer noch genug. Die Intendantin würde sich vor allem eine andere, neue, moderne Studiobühne wünschen. Es gibt neben dem Theater in der Garage noch einen alten Kinosaal fürs Theater, aber eine neue Zweitbühne, dieser Wunsch wird wohl an den kommenden Intendanten Jonas Knecht weitergegeben werden. Anke Steinert-Neuwirth kennt diese Bedürfnisse und weiß auch, dass „die Arbeitsbedingungen für das Ensemble und die Vergütungen immer wieder auf dem Prüfstand gestellt und angepasst werden“ müssen.

Man kann voll Zuversicht sein, dass das in Erlangen auch in Zukunft nicht grundsätzlich hinterfragt wird. Schließlich wünscht sich nicht nur die Kulturreferentin, befragt auf die Zukunft, „ein mutiges und experimentierfreudiges Theater – aber eigentlich ist es das jetzt auch schon“.

Dieser Artikel ist erschienen in Heft Nr. 11/2023.