Finde deinen Turbo!
Foto: Szenenfoto aus „DINGE DINGEN“ © Philipp Weinrich Text:Karolin Berg, am 17. März 2025
Am Theater der jungen Welt in Leipzig fand die zweite Ausgabe des inklusiven Festivals TURBO statt. Vier Tage voller Gastspiele, Workshops und der Erkenntnis, wie multiperspektivisch man Inklusion organisieren kann.
Die erste Ausgabe des Festivals fand bereits 2021 statt, damals wegen Corona noch rein digital. Vier Jahre später kann TURBO #2, das „inklusive Tanz- und Theaterfestival für junges Publikum“ am Theater der Jungen Welt in Leipzig (TDJW) in leiblicher Ko-Präsenz gefeiert werden. Welches Programm wird an den vier Tagen gezeigt, und wie etabliert ist Inklusion am TDJW?
Betritt man das Foyer des Theaters der Jungen Welt, wimmelt es bunt und glitzernd. Direkt am Eingang wartet aus Pappmaché die Namensgeberin des Festivals: eine regenbogenfarbene, riesengroße TURBO-Schnecke. Hier und in der ersten Etage haben Kinder und Jugendliche zweier Leipziger Schulen eine interaktive und inklusive Kunstausstellung zum Thema „Findet euren inneren TURBO!“ gestaltet. Über QR-Codes führt die Schnecke von Station zu Station, erzählt über die ausgestellten Bilder, Figuren und Drucke der Kinder und richtet sich fragend an mich als Zuhörerin, wo ich meinen inneren Turbo finde, was mir Energie und Motivation gibt oder in welchen Situationen ich meinen Turbo verliere. Den Kern des Festivals bilden drei Gastspiele von und für Menschen mit Behinderung, die jeweils zweimal an diesen vier Tagen aufgeführt werden. Noch mehr Gastspiele wären lohnend gewesen. Ausgewählt wurden die Produktionen von einer Jugendjury sowie einem Erwachsenen-Kurationsteam, ebenfalls bestehend aus Menschen mit und ohne Behinderung.

Die TURBO-Schnecke im Foyer. Foto: Karolin Berg
„DINGE DINGEN“
Die Performance „DINGE DINGEN“ für Taube und hörende Menschen und Kinder ab fünf Jahren zeigt, was alltägliche Dinge so alles tun, und vor allem, was sie mit den drei Performer:innen Julia Keren Turbahn, Jan Rozman und Jan Kress anstellen können. Die Gebärdensprache ist in das Stück integriert. Jan Kress, selbst gehörlos, spielt und dolmetscht simultan.
Das Stück ist eine Produktion des FELD – Theater für junges Publikum, das wie andere kleine Theater besonders hart von den Berliner Kulturkürzungen betroffen ist. Für Menschen mit Sehbeeinträchtigung stehen bei „DINGE DINGEN“ portable Audiodeskriptionsgeräte zur Verfügung. Vor der Vorstellung fragt ein Mitarbeiter, ob auch Hörende Interesse an Sendern hätten – eine Chance, um zu erfahren, wie so eine Aufführungsbeschreibung klingt. Leider waren nicht genügend Apparate für alle Interessierten verfügbar. Es zeigt aber, dass das Publikum neugierig ist, diese Erfahrung zu teilen.
Relaxed Performance
Die musikalische Performance „ZERBRECH-LICH“ ab 12 Jahren erzählt mit Songs und Choreografien von Körpern, die in ihrer Fragilität Stärke hervorbringen, denn die drei Akteurinnen Alice Giuliani, Victoria Antonova und Laila White haben körperliche Behinderungen. Konzipiert ist sie als Relaxed Performance. Giuliani erklärt zu Beginn, dass die Theaterkonventionen des Zuschauens hier entspannt sind: Laute, sich bewegen, den Saal verlassen – alles erlaubt. Relaxed heißt aber auch, zu wissen, was einen erwartet. So führt sie vor, welche Licht- und Soundeffekte zum Einsatz kommen. In dieser Produktion ist die Audiodeskriptorin Linda integraler Bestandteil der Aufführung. Lindas Stimme beschreibt, was zu sehen ist, kommentiert aber auch die Aktionen der drei Spielerinnen. Auffallend war – womöglich lag es an der Uhrzeit und der Fachtagung, die professionelle Kunstschaffende anzieht –, dass im Verhältnis zu den Erwachsenen relativ wenig Kinder die Vorstellungen besuchten.

Szenenfoto aus „ZERBRECH-LICH“. Foto: Clemens Heidrich
„Was braucht inklusives Theater für junges Publikum?“
Die mit dem Festival verbundene Fachtagung beleuchtete das Thema „Was braucht inklusives Theater für junges Publikum?“. In vier Workshops tauschten sich die Teilnehmenden über sensiblen Sprachgebrauch, Erfahrungen von Menschen mit Behinderung am Theater, wie Theater für taube und hörende Menschen gestaltet werden kann aus, oder sie erforschten tanzend den eigenen Körper.
Der letzte Tag des Festivals war dann definitiv in der Hand der Kinder: Da wurde noch mal der Feierturbo gezündet. Mit Frühstücksparty und Disco des Theaterclubs „Club Melo“. Inklusion und Barrierefreiheit sind am TDJW kein Neuland. Auch im regulären Spielplan finden sich Aufführungen mit Gebärdendolmetschen, Übertiteln oder Audiodeskriptionen. Das Haus ist rollstuhlgerecht ausgebaut, auf der Website des Theaters finden sich zu den Produktionen Hinweise zu sensorischen Reizen, ob in dem Stück viele oder wenige Worte benutzt werden, gegebenenfalls Triggerwarnungen. Das Leipziger Kinder- und Jugendtheater ist also ein erprobter und sensibilisierter Ausrichter solch eines inklusiven Festivals.
Keine Barrieren, sondern Bedarfe ermöglichen
Bemerkenswert ist, wie multiperspektivisch der Rahmen des Festivals bedacht wurde: Wer Unterstützung braucht, um zum TDJW zu gelangen, kann das im Vorfeld anmelden, wird an der Tram-Haltestelle abgeholt und zum Theater begleitet. Auf dem Boden im Foyer ermöglichen temporäre taktile Leitstreifen die Orientierung. Im Foyer halten sich Gebärdendolmetscher:innen auf, die bei Bedarf in der Kommunikation helfen. Für Menschen, die Sinneseindrücke schlecht filtern können oder einfach eine Rückzugsmöglichkeit brauchen, gibt es einen Ruheraum zum Verweilen. Ohnehin ist alles liebevoll und bunt-glitzernd im Foyer und der ersten Etage eingerichtet. Zwei Gastspielproduktionen bieten an, kurz vor der Aufführung an einer Tastführung teilzunehmen, um das Bühnenbild und die Materialien der Aufführung zu erspüren.

Das Theater der jungen Welt zeigt sich bunt und glitzernd. Foto: Karolin Berg
Für die dritte Produktion „GRUSEL“ von pulk fiktion, einem theatralen Live-Hörspiel, wird keine Audiodeskription angeboten, da die Inszenierung für seheingeschränkte und sehende Menschen konzipiert ist. Das, was man hört, ist gruseliger als das, was man sehen kann. Die Produktion ist zwar für seheingeschränkte Menschen ausgelegt, trotzdem ist es kein Problem, in dem spärlich beleuchteten Raum einen passenden Platz für den Gebärdendolmetscher zu finden, von wo aus er für zwei höreingeschränkte Zuschauer:innen gut sichtbar dolmetschen kann. Das alles erscheint hier nicht als Barriere, sondern sind Bedarfe, die selbstverständlich mitgedacht werden und so Theatererfahrungen für alle ermöglichen. Den inneren Turbo zu finden ist also gar nicht so schwer. Gerne mehr von diesem inklusiven TURBO-Festival.
Dieser Artikel ist erschienen in Heft Nr.2/2025.