Kein Zuschauer weit und breit im Theater Heilbronn

Krisentagebuch 30 – Ostern, Ostern, Auferstehen?

Dürfen wir uns Thomas Ostermeier als zufriedenen Menschen vorstellen? Angesichts der coronabedingt gelockdownten Bühnen wohl kaum. Aber sein Ratschlag, die Theater im infektionshygienisch heiklen Winter zu schließen und dafür im virologisch entspannten Sommer länger zu öffnen, bekommt in diesen Tagen eine ungeahnte Plausibilität. Gerade überschlagen sich nämlich die Meldungen aus allen Teilen der Republik, dass die Theater bis Ende Februar, andernorts gar bis Ende März oder bis Ostern, geschlossen bleiben müssen. Das betrifft inzwischen Theater in Baden-Württemberg, die bayerischen Staatstheater, die Berliner Bühnen, Sachsen, Hessen… – Tendenz: steigend.

Es mag merkwürdig, ja zynisch klingen. Aber trotzdem führt kein Weg an der bitteren Einsicht vorbei, dass diese Nachrichten für die Theater letztlich gute Nachrichten sind. Denn endlich – nach Monaten einer irritierenden Sprachlosigkeit und Ratlosigkeit – schaffen die Kulturministerien und -dezernate jetzt jene langfristigen Perspektiven, die die Theater dringend brauchen, um ihre Betriebe auf eine berechenbare Situation hin zu optimieren (zum Beispiel durch Kurzarbeit). So fällt es ihnen leichter, die finanziellen Folgen der Pandemie einzudämmen und gegenüber ihren externen Partnern wieder zu einem berechenbaren Vertragsgebaren zu kommen. Theaterleute und Interessenvertreter hatten die Politik geradezu angefleht, endlich eine zumindest mittelfristige Planungssicherheit zu schaffen. Dazu ist nun ein erster Schritt getan.

Ein erster Schritt – mehr aber auch nicht. Denn noch ist vielen Städten und Bundesländern die Situation unklar. Und in dem Moment, wo man Fristen setzt, muss man auch Perspektiven für danach zu entwerfen. Perspektiven für die Theater, aber auch für all die Gastkünstler und Soloselbständigen, die, zwar ohne festen Vertrag, aber darum nicht minder theatersystemrelevant, an den Bühnen ihre Arbeit tun! Für sie müssen Hilfen nicht nur schaufensterpolitisch vollmundig verkündet, sondern auch administrativ zielführend an den Mann oder die Frau gebracht werden. Ich höre inzwischen von vermeintlich gut bezahlten Künstlern, teils Frauen mit Kindern, die ihre Wohnungen nicht mehr bezahlen können, von Freunden Darlehen bekommen oder sogar andere Arbeitsplätze annehmen, weil sie die sagenhaften Hilfen nur zum Teil oder gar nicht bekommen. Das ist ein Skandal. Wahrlich nicht nur im Theater, wie jetzt allenthalben zu lesen ist. Dort aber wahrlich auch!

Zudem braucht es für die Theater selbst klare Szenarien, ab welcher Inzidenzzahl ein Probenbetrieb und schließlich auch eine Öffnung unter welchen hygienischen Bedingungen wieder möglich ist. Was die letzteren angeht, hatten die Theater ihre Hausarbeiten allerdings längst gemacht. Dass sie trotz ihrer von allen (mir bekannten) Fachleuten als vorbildlich erachteten Hygienekonzepte im Zuschauerbereich beim Pipifax-Lockdown Anfang November wieder zur Schließung gezwungen wurden – auch das war ein Skandal erster (oder vielleicht besser: letzter?) Güte. Auf ihre Zuschauer sind die Theater bereits bestens vorbereitet. Und vor dem Hintergrund dessen, was sich jetzt abzeichnet, ist Ostermeiers Vorschlag eines Spielbetriebs im Sommer vielleicht ja doch bedenkenswert?

Es geht hier aber auch um den Probenbetrieb. Nachgerade jeder Theatermensch, mit dem ich den letzten Wochen geredet habe, wusste von Coronafällen irgendwo an einem Theater. Die entstanden sicher (hoffentlich!) nicht aus Leichtsinn, sondern einfach, weil Theater eine kollektive und auch körperlich enorm interaktive Kunstform ist. Proben am Theater ist gefährlich. Und solange das Virus so diffus verbreitet ist wie in diesen Tagen, wird es auch gefährlich bleiben. Dem muss Rechnung getragen werden: durch die Einstellung des Probenbetriebes im Extrem; und durch strenge Hygiene-und Teststrategien noch auf lange Zeit. Schon jetzt brauchen die Bühnen aber Szenarien, welche Kennzahlen die Signale auf einen Beginn der Proben stellen, und wie das Sicherheitsmanagement organisiert und finanziert wird. Das betrifft zum Beispiel auch die generelle Verfügbarkeit von Tests. Solange diese in Pflegeeinrichtungen, Krankenhäusern, Kindertagesstätten und Schulen knapp sind, sind die Theater nicht unbedingt die ersten, die Tests beanspruchen sollten. Die Fußballvereine übrigens noch viel weniger.

Blickt man von hier aus zurück auf das politische Corona-Management der letzten Monate, ergibt sich ein Szenario von ernüchternder Gleichgültigkeit: Beim ersten Lockdown wurden die Theater pauschal mitverhaftet, bei der Öffnung im Frühjahr lange übersehen, beim zweiten Lockdown noch pauschaler mitverhaftet (explizit gemeinsam mit Bordellen, Spielhallen und Saunabetrieben), dann lange ohne Perspektive hängengelassen. Trotzdem bleibt es richtig, dass bei dreistelligen Inzidenzzahlen auch Theater geschlossen sind, weil es hier darum geht, die Mobilität der Menschen generell einzuschränken. Und dass die oben genannten mittelfristigen Schließungen fast überall im Dialog zwischen Theatern und Kulturpolitik verhandelt wurden, ist ein Hoffnungssignal.

Dieser Dialog, ja, auch eine Solidarität zwischen Politik und Kunst, wird noch sehr wertvoll sein, wenn es darum geht, die postepidemischen Folgen von Corona gemeinsam zu bewältigen. Allenthalben zeichnet sich inzwischen ab, dass die Pandemie bei den Geschäften und Betrieben, den Arbeitsverhältnissen und den Steuereinnahmen der Kommunen und Länder schwere Schäden hinterlassen wird. Damit ist auch die Finanzierung der Stadt- und Staatstheater, aber ebenso die Existenz vieler geförderter und auf zahlende Kundschaft angewiesener privater Theater und freier Gruppen massiv gefährdet. Da kann man nur hoffen, dass die Bewältigung dieser Folgen für die Kunst und Kultur in Zukunft pfleglicher verläuft als Abwehrmaßnahmen gegen die Pandemie bisher.