Harte Zeiten für Hellerau
Foto: Festspielhaus Hellerau © Anja Schneider Text:Torben Ibs, am 24. Januar 2025
Am Beispiel des Festspielhauses Hellerau in Dresden wird deutlich, wie prekär die Situation für freie Kulturinstitutionen ist.
Es sind harte Zeiten, auch für das Festspielhaus Hellerau. Am Dresdner Stadtrand gelegen, ist das Festspielhaus in den aktuellen kulturpolitischen Turbulenzen unter Druck geraten. Das Europäische Zentrum der Künste, so die Eigenbezeichnung, muss angesichts starker finanzieller Einschnitte schauen, wie es seinem Anspruch als internationales Produktionszentrum in der nächsten Saison noch gerecht werden kann.
Avantgarde war man hier schon von Anfang an. Einst befand sich an dem Ort der Dresdner Kern der Lebensreform-Bewegung von Émile Jaques-Dalcroze, die hier in einer modernen Gartenstadt im Jahr 1911 seinen Traum von einer Schule verwirklichte. Der Traum währte nur kurz. Nach dem Krieg übernahm die Rote Armee das Gelände, und erst seit 1992 ist es wieder der Öffentlichkeit zugänglich. 2006 übernahm die Stadt Dresden vom Freistaat das sanierte Gelände, und HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste Dresden wurde offiziell aus der Taufe gehoben.
Interdisziplinäre Kooperationen
Das Festspielhaus ist mittlerweile baulich gut in Schuss und bietet mit vier Bühnen, die zwischen 150 und 624 Menschen aufnehmen können, Probebühnen und Residenzmöglichkeiten beste Bedingungen, um dem eigenen Anspruch als interdisziplinäres Koproduktions- und Gastspielhaus gerecht zu werden. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf zeitgenössischem Tanz und Performance. Seit 2018 leitet Carena Schlewitt sehr erfolgreich das Haus, das in normalen Zeiten etwa 350 Veranstaltungen pro Jahr herausbringt. Das meiste als Koproduktionen, oft in Festivals oder Reihen. Und wer etwa über das belarussische Exiltheater, unabhängige Kunst aus der Slowakei oder das aktuelle Treiben der Dresden Frankfurt Dance Company auf dem Laufenden bleiben will, der kommt an dem Zentrum Hellerau nicht vorbei.

Carena Schlewitt, Leiterin des Festspielhauses HELLERAU. Foto: Stephan Floss
Zudem ist das Festspielhaus ein wichtiger Netzwerker. Mit explore dance, das gerade erst mit dem Deutschen Tanzpreis ausgezeichnet wurde, produziert Hellerau zusammen mit Potsdam, Hamburg und München Pop-up-Tanzstücke für ein junges Publikum, die dann mobil in Schulen gezeigt werden können. Das europäische Residenzprogramm Moving Identities bringt seit 2023 europäische Künstler:innen auch nach Dresden. Das Programm vernetzt sechs Spielstätten in Belgien, Dänemark, Estland, Deutschland, Norwegen und Spanien. Zu guter Letzt ist das Festspielhaus Teil des Bündnisses internationaler Produktionshäuser, zusammen mit dem Forum Freies Theater in Düsseldorf, dem Berliner HAU, Kampnagel in Hamburg, dem Mousonturm in Frankfurt am Main, PACT Zollverein (Essen) und dem Tanzhaus NRW (Düsseldorf).
Unter Druck
Und hier beginnen im Grunde die Probleme. Denn die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Claudia Roth, verkündete im Herbst, die Förderung für das Bündnis einzustellen. Später wurde bekannt, dass auch die Bundeskulturfonds mit 24 Millionen Euro weniger auskommen müssen, was für den Fonds Darstellende Künste einen Verlust von 10,4 Millionen Euro bedeutet, während Filmförderung und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz 28 Millionen Euro mehr bekommen sollen.
Das bedeutet, dass für Hellerau gleich zwei Förderquellen fast versiegen, denn viele Koproduktionen werden auch über den Fonds Darstellende Künste gefördert. Die Drittmittelquote liegt bei den Projekten in Hellerau bei 70 Prozent, insgesamt eine Million Euro, von denen etwa die Hälfte durch das Bündnis internationaler Produktionshäuser bereitgestellt wird. „Wir lassen nichts aus an Förderanträgen von groß bis klein“, erklärt Carena Schlewitt, die künstlerische Leiterin. „Jetzt sind wir aber von zwei Seiten stark unter Druck.“
Finanzierungslücken
Denn auch die Stadt Dresden, die das Festspielhaus institutionell fördert, hat angekündigt, die Finanzdecke zu straffen. Statt 1,62 Millionen Euro sollen nur noch 1,15 Millionen an das historisch und baulich relevante Festspielhaus fließen. Für das zeitgenössische internationale Programm fehlen nun seitens der Landeshauptstadt 470000 Euro und seitens des Bündnisses 630000 Euro. Insgesamt entsteht eine jährliche Finanzierungslücke von 1,1 Millionen Euro. Auch die anderen freien städtischen Kulturinstitutionen wie die villa\wigman und Netzwerke wie etwa das Tanznetz Dresden sollen deutlich weniger bekommen. Auch hier hatte sich Hellerau in Kooperationen wie mit der go plastic company in die tänzerische Entwicklung der Stadt aktiv eingebracht und so weitere Kooperationen mit angestoßen.

HELLERAU, Großer Saal, Tag des offenen Denkmals. Foto: Peter R. Fiebig
Insgesamt vier Millionen Euro will die Landeshauptstadt an der Kultur sparen. Dass in der Landesverfassung Kultur als Pflichtaufgabe definiert ist, schert den Stadtrat und den parteilosen Oberbürgermeister Dirk Hilbert, der früher bei der FDP war, nicht. Zwar gibt es Proteste, offene Briefe und Petitionen, aber alle Zeichen stehen für Hellerau auf perfekten Sturm. Denn auch die Kulturstiftung des Freistaats Sachsen steht wegen des fehlenden Landeshaushalts unter vorläufiger Haushaltsführung und kann so nur etwa ein Drittel der geplanten Mittel in der nächsten Förderrunde ausschütten. Wo man früher solche fehlenden Förderungen für Projekte noch intern ausgleichen konnte, ist jetzt die Decke an allen Enden zu kurz.
Nicht nur Dresden
„Die Spielzeit 2024/25 findet mit einigen Einschränkungen statt“, so Schlewitt, aber das Programm bis zum Ende des Jahres 2025 sei eine große Herausforderung. Für 2026 wagt sie keine Aussagen zu treffen. 2025 erwartet sie etwa unter anderem noch Rachid Ouramdane mit „Contrenature“ im Festspielhaus, das erwähnte Festival zur Slowakei und das Vermittlungsformat Watch Out!, die unter anderem mit Mitteln der internationalen Produktionshäuser finanziert wurden. „Mit den aktuellen Kürzungen ist unser Profil existenziell in Frage gestellt“, sagt sie besorgt. „In den letzten Jahren hat sich viel getan im Drittmittel-Fördersystem, aber wir sehen jetzt wieder einmal, wie fragil das System der Abhängigkeiten für freie Produktionshäuser in Wirklichkeit ist.“ Und das gilt nicht nur für Dresden.
Dieser Artikel ist erschienen in Heft Nr.1/2025.