Im Glashaus des Horrors

Simon Stone: Das Ferienhaus

Theater:Burgtheater Wien, Premiere:18.12.2025Autor(in) der Vorlage:Henrik IbsenRegie:Simon Stone

Simon Stone inszeniert am Wiener Burgtheater sein von Ibsen inspiriertes Stück „Das Ferienhaus” über vier Generationen einer Familie, die durch die Verbrechen des pädophilen Patriarchen und deren Verschweigen zugrundegeht. Eine langatmige Tragödie im saloppen Netflix-Stil.

Beton, Glas und eine dünne Stahlkonstruktion, die alles zusammenhält: Der lichtdurchflutete Mid-century-Bungalow besticht durch Transparenz und eine ausgeklügelte Raumorganisation. Geräuschlos dreht er sich immer wieder um die eigene Achse, um den Blick auf einzelne Räume zu ermöglichen: Im rot gekachelten Bad steht ein Mann unter der Dusche, während eine barbusige junge Frau durchs Schlafzimmer schlendert. Im kleinen Arbeitszimmer beraten sich zwei Männer, über einen Schreibtisch gebeugt, während im Wohnzimmer mit offener Küche und hohem, gemauertem Kamin eine Party stattfindet.

Später wird dort eine Mutter ihren HIV-kranken Sohn (Thiemo Strutzenberger) auf dessen Wunsch mit einem Kissen ersticken, ehe zwei lesbische Frauen (Caroline Peters als Katrin und Franziska Hackl als Lena) aus Verzweiflung über den Selbstmord ihrer vom Großvater missbrauchten Tochter sich und das Haus abfackeln werden. Eine andere, von demselben Mann als Kind ebenfalls sexuell missbrauchte Frau, wird das Haus als „Denkmal des Überlebens” wieder aufbauen, um es am Ende, als ihr Lebenstraum scheitert, erneut in Flammen aufgehen zu lassen: Hustend stolpert Birgit Minichmayrs Caroline durch den flackernden Nebel eines melodramatischen Finales und beschwört die reinigende Kraft des Feuers, aus dem neues Leben erwachsen soll.

Ibsen-Adaption als Mehrfachverwertung

Das Ferienhaus” nennt der australisch-schweizerische Regisseur Simon Stone seine fast vierstündige Inszenierung am Wiener Burgtheater über eine Familienhölle aus Missbrauch, Verschweigen und Verdrängen, die sich über vier Generationen von 1964 bis 2004 erstreckt. Es ist die Adaption seiner bereits 2017 in Amsterdam uraufgeführten Produktion „Ibsen Huis”, die 2018 u.a. auch an der Berliner Schaubühne zu sehen war. Damals hatte das gläserne Haus noch ein Satteldach und kein Flachdach (Bühne: Lizzie Clachan). Diesmal stammt dessen gefeierter Architekt, der pädophile Patriarch Carl Albrich (Michael Maertens), der Nichte Caroline und Enkelin Flora (Fabia Matuschek) missbraucht, aus dem Wiener Nobelbezirk Grinzing, und das Ferienhaus steht in Vorarlberg – so einfach ist Mehrfachverwertung im Theaterbetrieb.

In einer ausufernden, kaum in Fahrt kommenden Enthüllungsdramaturgie aus vielen Szenenschnipseln in ständigen Vor- und Rückblenden bedient sich Stone, der auch den Stücktext schrieb, zentraler Motive aus Dramen Henrik Ibsens, allen voran „Baumeister Solness” und „Gespenster”. So verschweigt etwa Carl, dass sein Neffe Daniel (Michael Wächter) der Architekt des gläsernen Bungalows ist, und geistert am Ende als dementer, inkontinenter Greis greinend durch das Haus, das ihn einst berühmt machte. Ibsens Raffinesse bei seinen psychologischen Tiefbohrungen, die stets soziale Bedingungen als konstituierend für seine Charaktere ans Licht bringen, verschwindet jedoch in klischeehaften Figuren, die in Stones retardierender Seifen-Oper in peinliche Belanglosigkeit abrutschen. Lediglich Birgit Minichmayr gelingt es, an ihrer drogensüchtigen Caroline eine Entwicklung zu zeigen und einen der wenigen anrührenden Momente zu schaffen, als sie mit zunehmend erstickender Stimme vom Missbrauch berichtet.

Über die Destruktivität bürgerlicher Lebensformen

Zwar stellt Stone Ibsens zentrales Thema der Destruktivität bürgerlicher Lebensformen, die zur Lebenslüge des Einzelnen wird, gleichsam thesenhaft ins Zentrum seines Stücks, jedoch bleibt dieses papierene Behauptung. Während Ibsen die Geschehnisse durch hohe Sprachkunst und Symbolisierung zu erhellenden Rätseln verdichtet, deren Dechiffrierung Erkenntnisse schafft, banalisiert Stone die Konflikte durch Geschwätzigkeit zur Eindeutigkeit. Vermittelt Ibsen kunstvoll am jeweils besonderen Fall das Allgemeingültige seiner Gesellschaftskritik, interessiert sich Stone in seinem Panorama dafür wenig. Der narzisstische Pädophile, die eiskalte Mutter (Elisabeth Augustin) und der feige Vater (Roland Koch), die wegschauen und ihre Kinder verraten, die Aids-Katastrophe der 1980er, die Finanzkrise, der Brexit und die Flüchtlingskatastrophe 2015 – dies alles bewegt sich an der Oberfläche einer Netflix-Unterhaltung, die weder gedanklich noch emotional berührt.

Ohne tiefgehende Sprach- und Personenregie bleiben die Figuren in Stones Familienhölle Hohlformen, die selbst ein Starensemble in Doppelrollen nicht zu kaschieren vermag. Umso verwunderlicher waren die Standing Ovations bei der Premiere für solch küchenpsychologischen Tragödien-Boulevard.