Eine Darstellerin im Sprung fotografiert

Ich will doch nur spielen

Wie steht es um den Diskurs von Hautfarbe im deutschsprachigen Raum? Da gibt es unzeitgemäße Defizite, findet Burgtheater-Schauspielerin Safira Robens. Aus gegebenem Anlass der Blackfacing-Debatte in Hamburg reflektiert sie in einer persönlichen Rückschau über ihre Bühnenkarriere, verletzende, aber auch bestärkende Momente und einen doch spürbaren Wandel.

Natürlich ist es merkwürdig, drei englische Worte zu brauchen, um sich in der eigenen Sprache selbst zu benennen. POC. Aber ich stolpere lieber über ein unhandliches Kürzel als über ein Schweigen. Denn es ist etwas in Bewegung geraten. Und das war überfällig.

Für mich war Theater nie bloß ein Ort, an dem Geschichten erzählt werden. Es ist der Raum, in dem ich lerne, wer wir gemeinsam sein können und wie weit sich Wirklichkeit dehnen lässt, wenn Fantasie und Mut aufeinandertreffen. Ich bin in vielen Städten aufgewachsen – Dortmund, Freiburg, Lissabon, und dazwischen immer wieder neue Orte, neue Sprachen, neue Welten. Vielleicht war genau diese Art des Unterwegsseins mein erstes Schauspieltraining: ständige Veränderung, Neugier, ein wacher Blick für Menschen und ihre Sehnsüchte. Und dann das Gefühl: Ich möchte diese vielen Wahrheiten teilen – auf der Bühne. Nach ersten Schritten im Ruhrpott, im Rheinland und an der Schaubühne, begann ich meine Schauspielkarriere in Lissabon, wo ich endgültig spürte, dass Spiel Menschen berühren, bewegen, befreien kann. 

Zwei Darstellende

Safira Robens und MING in „Cypressenburg“. Foto: Marcella Ruiz Cruz

Als ich nach Wien kam, hatte ich eine Traumvorstellung vor Augen. Wien war für mich Falco und Kottan, Schmäh und Eleganz, Kraus, Bernhard, Jelinek. Eine Stadt, die Sprache liebt und zerlegt. Eine Theaterstadt. Ich zog aus Lissabon hierher, um am Max Reinhardt Seminar zu studieren. Noch in Portugal, vom Filmset aus, kaufte ich mir Karten für „Kampf des N-Wort und der Hunde“ am Akademietheater. Bernard-Marie Koltès war für mich Punk. Radikal. Zärtlich. Gefährlich. Ich war mit ihm groß geworden. Dass das N-Wort heute verbannt ist, halte ich für absolut richtig. Worte tragen Geschichte, und manche tragen Trauma. Respekt heißt auch, Begriffe sterben zu lassen. Damals aber dachte ich: Wenn dieses Wort auf der Burgtheater-Homepage steht, dann muss ein enormes Konzept dahinterstecken. In Lissabon hatte ich starke, zeitgenössische Arbeiten zu Jean Genet gesehen – Inszenierungen, die zeigten, wie sehr sich Theater verändern kann, wenn es sein demokratisches Potenzial ernst nimmt.

Das Burgtheater war damals aber leider noch nicht so weit.

Ich musste die gesamte Vorstellung über weinen. Anschließend fand ein Publikumsgespräch statt, das auf peinliche Weise eskalierte. Es hatten sich linksorientierte Menschen versammelt, die Flugblätter gegen das Stück verteilt hatten. Vertreter:innen der Black Community waren anwesend und BURG-Abonent:innen. Der Regisseur hatte leider Wichtigeres zu tun. Die Spielenden verteidigten die Inszenierung, es wurde gesagt für POCs gäbe es ohnehin keine Festanstellungen, daher spiele man eben, was man angeboten bekommt, oder das N-Wort zu verwenden sei künstlerische Freiheit. Die damalige Dramaturgie des Hauses wehrte Fragen, die gestellt wurden, ungeduldig ab, ohne Grundlegendes benennen und ausführen zu können.

Die Situation eskalierte, es kam zum grausamen Streitgespräch zwischen unterschiedlichsten Partien, die wütend und frustriert auseinandergingen, ohne sich durch diese Begegnung näher gekommen zu sein. Danach weinte ich die ganze Nacht weiter. Am nächsten Tag hatte ich Fieber. Ich traute mich nicht, mich krank zu melden – erstes Semester, heiß ersehntes Studium und die allgegenwärtige Warnung, dass für POCs im deutschsprachigen Theater ohnehin alles aussichtslos sei. Rückblickend wäre Ehrlichkeit angebracht gewesen: ein Schild am Akademietheater mit der Aufschrift „Nur für Weiße“. Dieser Abend war für mich Körperverletzung.

Safira Robens in „Troerinnen“. Foto: Susanne Hassler-Smith

Als ich mich physisch erholt hatte, dokumentierte ich. Plakate hingen damals noch überall – das  eigentlich rechtmäßig verbannte Wort verfolgte mich durch die Stadt. Ich sprach mit Menschen, die den Saal verließen. Ich suchte Kontakt zu den Spieler:innen. Ich wollte verstehen. Besuchte erneut ein Publikumsgespräch, das ich diesmal zum Glück entschärfen konnte. Ein älterer weißer Herr sagte, er finde es nur richtig, dass das N-Wort verwendet wurde. Auf dem Land, wo er herkomme, kannte er nur wenige Afro-Österreicher und da verwende man das N-Wort auch heute noch. Ein junge Frau wurde aggressiv und war dabei, aus dem Saal geschickt zu werden, als ich meinen Mut zusammennahm und Achille Mbembe zitierte, der zeigt, dass das N-Wort keine Person bezeichnet, sondern eine koloniale Kategorie, die Schwarze Menschen auf Andersheit, Körperlichkeit und Defizit reduziert. Die Weiterverwendung hält diese Denkstruktur am Leben. Und Frantz Fanon, der schreibt, dass rassifizierende Bezeichnungen nicht neutral beschreiben, sondern Subjektivität beschädigen: Sprache wirkt als Verlängerung kolonialer Gewalt. Applaus. Ich war noch immer nervös. Meine Wangen glühten. Ich glaube nicht, dass mein kleiner Beitrag damals die Welt verändert hat, aber rückblickend bin ich froh, dass ich da gewesen bin. Auch das Publikum hat eine Kraft, die nicht unterschätzt werden darf.

Diesen Winter, bei der Blackfacing-Debatte rund um das Schauspielhaus Hamburg, erinnerte ich mich an das alles. Wollen wir Theater verteidigen, das eigentlich ein Warnschild bräuchte?

Ich habe Philosophie und Philologie studiert. Fokus „Kulturen der Romania“. Schon in der Universität in Düsseldorf blendete man die afrikanische Romania fast vollständig aus. Bis auf ein Seminar über Literatur in Madagascar. Diese Bildungslücke führte mich an die Sorbonne in Paris und an die Universität in Lissabon. Ich wollte diese Lücken füllen. Als ich meine beiden Masterstudien absolvierte, bevor ich an die Schauspielschule ging, interessierte ich mich vor allem für Pierre Bourdieus Werke, in denen er symbolische Macht, kulturelles Kapital und die Reproduktion von Ignoranz durch Bildung untersucht. Die diesjährige Blackfacing-Debatte, beweist, dass diese Bildungslücke ein unzeitgemäßes Defizit des deutschsprachigen Raumes ist. 

Im ersten Jahr meines Schauspiel-Studiums riet man mir, keinen Gretchen-Monolog zu erarbeiten – ich würde ja „realistisch gesehen“ ohnehin nie so besetzt werden. Ich fragte mich ernsthaft, ob es ein Fehler gewesen war, Lissabon zu verlassen. Dort war ich einfach Schauspielerin gewesen. Meine Hautfarbe spielte keine Rolle. Ich selber durfte die Rollen spielen. Schließlich sollte mich mein trotzdem erarbeiteter Gretchen-Monolog jedoch zum Engagement führen. Der Intendant sagte mir, er sehe mich sowohl in Schiller- oder Kleist-Inszenierungen, als auch in zeitgenössischen Texten. 

Safira Robens und Johannes Zirner in „Katharsis“. Foto: Marcella Ruiz Cruz

Im zweiten Studien-Jahr wurde ich ans Burgtheater gecastet. Für eine Jelinek-Uraufführung. „Schwarzwasser“. „Gehen wir halt im Meer baden, solang es noch eins ohne Leichenbeilage gibt. Dann müssen wir ordentlich Knödel essen und weiter fahren.“ Auch während dieser Vorstellung musste ich weinen. Nur stand ich diesmal selbst auf dieser Bühne. Die Worte trafen mich. Die Welt war immer noch kein guter Ort. Robert Borgmann inszenierte eine Explosion in drei Akten. Kurz nach Beginn sprayte ich „Frieden“ auf Arabisch an eine Wand, die wenig später eingeschlagen wurde. 

Seitdem spiele ich regelmäßig an der BURG. Mit Dead Centre entwickelten wir „Katharsis“ nach Motiven rund um Angelo Soliman und seine Tochter Josephine. Nach den Vorstellungen kamen Menschen zu mir und sagten, das seien große Schritte für das Burgtheater. Endlich Afro-Wien-Geschichte auf der Bühne. Endlich wird das wahrhaftige Bild vollständiger dargestellt. Denn dieses Theater lebt auch von den Steuergeldern der bisher Ausgeblendeten. Und ja – die Kantine sah plötzlich anders aus. Jünger. Nicht-weiß. Viele Kolleg:innen freuten sich darüber. Genauso sah es bei der Premierenfeier von Isabelle Redferns Inszenierung „Cypressenburg“ aus. 

Ich habe mich nie fürs Kämpfen entschieden. Ich will spielen. Ich will mich verwandeln. Und ehrlich gesagt: Ich will nicht mein Leben lang über Diskriminierung sprechen müssen. Ich träume von einem Theater, das die historischen und sozioökonomischen Massaker anerkennt, auf denen Europa gebaut ist – und daraus kluge, poetische, respektvolle Kunst macht. Ohne Zeigefinger. Wahrhaftig. Qualitativ. Klassisch. Modern. Revolutionierend. Mit Haltung.

Und bei aller Ernsthaftigkeit: Ich bin optimistisch. Wirklich. Die Veränderungen sind spürbar. Langsam, widersprüchlich, manchmal unbeholfen – aber real. Das Burgtheater hat sich bewegt. Wien bewegt sich. Und ich stehe länger hier als je zuvor an einem Ort.

Ich will doch nur spielen.
Und mich wird das Gefühl nicht los, dass genau das hier langsam möglich wird.

Porträt Safira Robens

Safira Robens, 1994 in Herdecke geboren, fand über eigene Theaterarbeiten ihren Weg zur Bühne. Engagements führten sie u. a. ans Schauspielhaus Bochum, an die Schaubühne am Lehniner Platz und zur Ruhrtriennale. Parallel studierte sie Philosophie und Philologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, der Sorbonne in Paris und der ULisboa. Ihr Schauspielstudium absolvierte sie am Max Reinhardt Seminar. Seit 2021 ist sie Ensemblemitglied am Burgtheater Wien.