Foto: Valerie Eickhoff (Kay), Georg Zeppenfeld (Schneekönigin), Louise McClelland Jacobsen (Gerda), Tänzer:innen © Semperoper Dresden/Mark Schulze Steinen
Text:Jens Daniel Schubert, am 8. Dezember 2025
Die Semperoper Dresden zeigt „The Snow Queen“ nach Hans Christian Andersens gleichnamigem Märchen in der Regie von Immo Karaman. Sowohl Bühne, Musik als auch Ensemble beeindrucken, doch bietet die Inszenierung für die Entwicklung der Figuren wenig Spielraum.
Andersens Märchen „Die Schneekönigin“ erzählt von Gerda, die sich durch Gefahren und gegen böse Kräfte verbündet mit hilfreichen Gefährten auf den Weg macht, ihren Kay aus den Fängen der eiskalten und bösen Schneekönigin zu befreien. Man kann das Märchen durchaus als Coming-of-Age-Geschichte lesen, auch wenn das eigentlich nur ein Strang der bezugreichen Vorlage ist.
An der Dresdner Semperoper hatte Hans Abrahamsens Opernversion „The Snow Queen“ des Märchens Premiere. Das außergewöhnliche Werk in seiner musikalisch beeindruckenden, bildstarken und effektreichen Inszenierung wurde begeistert und einhellig vom Publikum gefeiert.
Die Inszenierung und Immo Karaman stellt die Entwicklung von Gerda in den Mittelpunkt. Das Mädchen wird zur Frau, der Junge Kay zum Mann, die beiden ein Paar. Die Stationen von Gerdas Entwicklung – und nur die wird gezeigt – sind bei Andersen die Begegnungen mit den verschiedenen märchenhaften Wesen: der im Winter blühenden Rose, dem Blumengarten, dem Prinzenpaar, den bösen Räubern, dem Rentier, der Finnfrau… Bei Karaman findet das alles im Inneren der guten Stube statt: Das Leben als Traum.
Geniale Bühne, beeindruckendes Ensemble
Arne Walther (Bühne) hat dieses geniale Bild erfunden. Es ist unverkennbar immer das gleiche Zimmer. Es vervielfältigt sich in der Tiefe, wird zum Tunnel durch Zeit und Raum, gerät aus den Fugen. Fenster und Wände bieten keinen Schutz vor Kälte, der Schrank wird zum Zufluchtsort, ohne dass man den Raum wirklich verlässt. Alle handelnden Personen kommen hierher zu Gerda, sie wird zum Objekt. Große Teile der Geschichte werden schlicht erzählt, während sie ohnmächtig dabei liegt: wie die Schneekönigin Kay entführt, wie Gerda von den Räubern gefangen wird, wie sie sich und das Rentier befreit. Die Finnfrau sagt, sie habe alles, was sie zum Sieg braucht, bereits in sich.

Christa Mayer (Finnenfrau), Louise McClelland Jacobsen (Gerda), Georg Zeppenfeld (Rentier). Foto: Semperoper Dresden/Mark Schulze Steinen
Andersens Märchen wird von Abrahamsen nicht dramatisiert. Seine Musik, gewaltig instrumentiert, mit dicken Bläsern und ausuferndem Schlagwerk (Dirigat: Titus Engel), zeigt, wie Gerda im Strudel der an ihr zerrenden und sie bedrängenden Wesen versucht, aufrecht zu bleiben. Musik und Inszenierung lassen nur wenige warme Lichtstrahlen zu. Selten klingt mal eine Melodie auf, nur manchmal entspannen sich die Rhythmen, die Stimmen werden oft bis an die Grenzen geführt.
Wenig Figurenentwicklung
Das Dresdner Ensemble – die Staatskapelle, der Chor und die Solisten, aber auch die vielbeschäftigte Gruppe der Tänzer:innen – meistert die Herausforderungen beeindruckend. Leider bleiben die spielerischen Momente meistens unterbelichtet. Gerda, die Hauptfigur des Abends, wird weitgehend verhandelt. Sie wehrt sich, aber hat kaum die Chance, sich selbstbestimmt zu entwickeln. Dennoch ist Louise McClelland Jacobsen eine faszinierende Verkörperung dieser Figur. Auch Valerie Eickhoff als Kay überzeugt, auch wenn man eigentlich nicht merkt, wie der Junge zum Mann wird, das passiert einfach. Georg Zeppenfeld ist als Snow Queen stimmlich und als Erscheinung ein Ereignis, doch zu spielen gibt es für ihn nur wenig. Als Rentier hat er eine bewegende Erzählung, die er überaus lebendig singt, obwohl er keine Möglichkeit hat, die Gefühle auch szenisch darzustellen.
Ähnlich ergeht es Christa Mayer, die als Mutter, alte Frau und Finnfrau zwar wichtiger Teil der Erzählung, aber spielerisch völlig unterfordert ist. Da haben es Simon Esper als Waldkrähe und seine Verlobte, die Schlosskrähe, dargestellt von David DQ Lee, deutlich besser. Sie erleben zwar keine Entwicklung, können sich aber in der bewegten Szene der anderen Rabenvögel deutlich profilieren. Jasmin Delfs und Mario Lerchenberger geben als Prinzenpaar, im Gothic-Outfit mit Kronen und Masken (Kostüme: Nicola Reichert) aber einem aufs Bett begrenzten Aktionsradius, eine schöne Farbe. Die Entwicklung, die Andersen bei der Prinzessin durch die Begegnung mit Gerda angestoßen hat, spielte in dieser Operninterpretation keine Rolle.
Der Premierenjubel in Dresden war groß. Ob er sich in den Folgevorstellungen halten wir, bleibt abzuwarten. Eine familiengerechte Weihnachtsmärchen-Produktion ist „The Snow Queen“ sicher nicht.