Aufführungsfoto von „Immer nach Hause“ nach Ursula K. Le Guin, von F. Wiesel. Ein grün-blau beleuchteter Krater in der Mitte der Bühne, in dem ein Mann sitzt. Auf dem Podest rechts oben steht ein Mann, blickt und zeigt ins Publikum. Im Hintergrund links eine Leinwand mit hellen Strichen.

Im Schwindelgefühl der Impressionen

nach Ursula K. Le Guin: Immer nach Hause

Theater:Theater und Orchester Heidelberg, Premiere:05.12.2025 (UA)Regie:F. Wiesel (Hanke Wilsmann, Jost von Harleßem)

Wie bringt man eine 850-seitige Postapokalypse auf die Bühne, die keine chronologische Leserichtung vorgibt? Die dritte Arbeit des Kollektivs F. Wiesel am Theater und Orchester Heidelberg dekonstruiert Ursula K. Le Guins Science-Fiction-Roman „Immer nach Hause“ und setzt ihn bruchstückhaft, aber unfokussiert, in ein literarisch-inszenatorisches Experimentallabor.

Auch Scheitern bringt einen weiter, zumal im Theater, wenn die Bühne zum literarisch-inszenatorischen Experimentallabor wird. So wie jetzt im Zwinger 1 des Heidelberger Theaters, in dem das Produktions-Duo F. Wiesel (hinter dem sich das Gespann Hanke Wilsmann und Jost von Harleßem verbirgt) versucht, ein paar schillernde Mosaiksteine aus Ursula K. Le Guins vor Einfällen, Dystopien, Erzählformen, Songtexten, Landkarten und Mythen überbordende Hauptwerk „Immer nach Hause“ herauszubrechen. Unter dem Titel „Always Coming Home“ ist der herausfordernde Roman 1985 in den USA erschienen, ins Deutsche übertragen wurde er erst 2023.

Die amerikanische Science-Fiction- und Fantasy-Autorin – sie lebte von 1929 bis 2018 – arbeitete in ihrem 850-Seiten-Wälzer mit „Bruchstücken, Fragmenten, Scherben“, wie sie selbst schreibt. Man könne sie passagenweise lesen, nicht von vorne bis hinten zur letzten Seite, sondern frei nach Gusto in sprunghafter Manier. Im Klartext: Ihre „Archäologie der Zukunft“, die vom Volk der Kesh erzählt, das in einer nicht näher definierten postapokalyptischen Zukunft im Norden Kaliforniens nach archaisch anmutenden Ritualen lebt, lädt zur Dekonstruktion des dekonstruierten Stoffs ein. Das fordert die Leserschaft extrem heraus. Mehr noch gilt dies für die Theaterbesucher, die sich mit dem fünfköpfigen Ensemble auf eine dritte Ebene der Dekonstruktion begeben müssen. Da ist die Gefahr groß, dass die Unheil dräuende Büchse der Pandora, die von Guin in die Zukunft geholt wird, ablenkende Assoziationen zum Hier und Jetzt heraufbeschwört: sei es zu trumpistischen Unverschämtheiten, zur Hölle des Ukraine-Kriegs oder zum parlamentarischen Gezänk um die Rentenreform.

Aufführungsfoto von „Immer nach Hause“ nach Ursula K. Le Guin von F. Wiesel am Theater Heidelberg. Fünf Personen stehen nebeneinander und schauen nach vorne.

„Immer nach Hause“ mit Hendrik Richter, Jacob Bussmann, Leon Maria Spiegelberg, Esra Schreier, Katharina Quast. Foto: Susanne Reichardt

 

Rückzug auf Erzählerrollen

Wenn eine Inszenierung solche Zentrifugalkräfte freisetzt, fliegt man im Schwindelgefühl der Impressionen leicht aus der Kurve. Um dieser Gefahr zu widerstehen, verzichten die Akteure Katharina Quast, Hendrik Richter, Esra Schreier, Leon Maria Spiegelberg und Jacob Bussmann auf darstellerische Extravaganzen. Sie ziehen sich auf ihre Erzählerrollen zurück, vermeiden weitgehend zwischenmenschliche Interaktionen und verharren meist an Ort und Stelle, um den links im Hintergrund projizierten Bildern einer lebensfeindlichen Wüstenei mehr Geltung zu verschaffen. In diese Videoszenen mischen sich wuchernde Sträucher, wuselnde Viecher oder schwer zu deutende Kultgegenstände, die am Labortisch links per Augmented Reality in die Projektionen gehext werden. Diese Technik, mit der Webdesigner gerne arbeiten, schafft eine vierte Ebene der Dekonstruktion.

Das Auge wandert zwischen dem Videoscreen und dem grünlichen Pappmaschee-Becken, das rechterhand ein Flussbecken mit Kiesgrund veranschaulichen soll, hin und her. Drumherum ein paar Stege, Stufen und Leitern, auf denen die Darstellerinnen und Darsteller mal hier, mal da verharren, um ihre monologischen Erzählsequenzen schillern zu lassen. Sie berichten von den Ritualen der Kesh, von einer ominösen „Stadt des Geistes“, von den mit monströsen Masken veranschaulichten „rückwärtsköpfigen Leute“, vom „Gesang eines Blutclowns aus Chumo“ oder von Geiern, die nur eins im Sinn haben: „Sei tot, sei Nahrung!“ Die gefiederten Aasfresser neigen zum Zerfleddern ihrer Beute. Ähnlich zerfleddert präsentiert sich der knapp zweistündige Theaterabend. Wer sich daraus diesen oder jenen Mythenhappen zum freien Assoziieren herauspickt, tut das mit einem gewissen Mehrwert. Doch die Mehrheit dürfte aufgrund der Zentrifugalkräfte der Produktion ins Straucheln geraten.