Ensembleszene aus dem Schlosstheater Moers: „Der Frieden" mit Catherine Eisen in der Mitte.

Unterhaltsames Dilemma

Aristophanes: Der Frieden

Theater:Schlosstheater Moers, Premiere:25.10.2025Regie:Daniel Kunze

Das Schlosstheater Moers hat den „Frieden“ von Aristophanes ausgegraben und macht das Stück zu einer hervorragend gespielten Komödie über Macht und Demokratie.

„Der Frieden“ von Aristophanes aus dem Jahr 421 v. Chr. ist eigentlich ein deprimierendes Stück, eine schwarze Satire, ausgelöst durch den Peloponnesischen Krieg. Daniel Kunze, neuer Intendant am Schlosstheater Moers zusammen mit Jakob Arnold, hat das Stück überschrieben – mit Material des französischen Theatermachers Antoine Vitez, der es 1965 in Ulm aufgeführt hatte.

Das Ergebnis ist bemerkenswert heiter, wobei die Fabel des Stücks – bis auf das Happy End – erhalten bleibt: Der Weinbauer Trygaios besteigt aus Frust über den Krieg einen Mistkäfer und fliegt in den Götterhimmel, um Zeus nach dem Sinn des Krieges zu fragen und ihn zu bitten, den Krieg zu beenden. Er trifft auf den Götterboten Hermes, der ihm erklärt, dass Zeus sich nach „weiter oben“ zurückgezogen habe, um den Schlachtenlärm nicht mehr zu hören. Nun waltet der Kriegsgott Polemos ungestört: Er will die griechischen Städte in seinem Mörser pulverisieren und hat dafür die Friedensgöttin weggesperrt. Trygaios befreit den Frieden, heiratet die Erntegöttin und wird ein Held.

Die Bühne (Ausstattung: Sophie Leypold) im Schlosstheater wirkt wie ein Versuchsraum: nackte Wände rechts und links, Erde auf dem Boden, hinten und oben mit Folie verkleidet – kahl, fast keimfrei. Links steht ein Kiosk. „Weinverkostung“ steht darüber; das „s“ fehlt. Hier stehen und kauern fünf Gestalten, gekleidet in blauer Arbeitskleidung, mit Frisuren, die lange keinen Friseur gesehen haben. Sie bewegen sich nicht. Sie trinken und wissen nicht, wen sie hochleben lassen können. Immer wieder. Dann singen sie a cappella einen Popsong, fünfstimmig, sehr rein, sehr schön.

Eine Gebrauchsanweisung wird erzählt

Eine Schauspielerin (Clara Pinheiro Walla) wendet sich ans Publikum und erzählt eine Art Gebrauchsanleitung für den Abend: Es gehe nicht darum, das Kriegsdilemma zu lösen – das kann das Theater nicht. Aber was kann es? Kann ein Dichter die Welt verändern? Wie war das damals, wie ist es heute? Sie springt lustvoll durch die Metaebenen und lädt das Publikum ein,  ihr zu folgen.

Das Stück geht weiter: Trygaios (sehr warm und verzweifelt: Matthias Heße) besteigt den Mistkäfer – der im Stück vorkommt, weil Aristophanes seinem Kollegen Euripides einen mitgeben wollte, der mehrfach Pegasus-Ritte auf der Bühne veranstaltete – und fliegt in den Himmel. (Wir sehen das wackelnde Ensemble mit Trygaios auf einem Barhocker darüber als eine Art Mistkäfer-Skulptur.) Er begegnet Hermes (Rose Lohmann), die eine komische Glanznummer abliefert: mit weiß geschminktem Gesicht wie alle Götter – eitel, müde, überfordert, überarbeitet – sozusagen ein heutiger Abteilungsleiter.

Schließlich gräbt Trygaios die Friedensgöttin aus – in Moers: in seinem Garten, im alten Brunnen. Doch der ist längst zugeschüttet; man weiß nicht mehr, wo der Schacht war. Man will abstimmen, man will eine Kommission gründen, die Nachbarin (Catherine Elsen) lässt eine Wutrede vom Stapel über die Unfassbarkeit des Friedens, der nie in der Tagesschau vorkommt. Man stimmt dafür ab, nicht mehr abzustimmen. Schließlich trägt man Erde hin und her, bis man den Schacht und damit den Frieden findet – ein Zufall. In dieser Szene findet die Inszenierung einen Höhepunkt: Hier werden Fehler, Dysfunktionalitäten unseres demokratischen Systems, die auch Kriege auslösen können, fein und komisch offengelegt.

Der Rest ist Chaos

Der Rest ist Chaos: Menschen, zum Beispiel Waffenhändler (bei Aristophanes!), wollen den Frieden verhindern, andere wollen daran verdienen; ein Humanist will ein Publikum ansprechen, und es wird sogar Kant vorgelesen. In das vielstimmige Gewirr tritt ein Kind (Ben Krolzik), vielleicht 14 Jahre alt, und schildert unsere heutige Gesellschaft aus seiner Sicht – ohne Eigeninteressen. Das ist eine Anklage, die man so schnell nicht vergisst.

Und doch bleibt die Grundstimmung des Abends heiter, weil wahnsinnig gut gespielt wird. Auch, weil die Spieler:innen das Miteinanderspielen und das Spielen für und mit dem Publikum erstaunlich gut auseinanderhalten. Weil die Pointen stimmen (ein Beispiel: Wenn Trygaios dem Frieden eine Jacke überzieht, merkt seine Tochter an: „Ich habe bis jetzt nur den Kalten Krieg gekannt“) – und weil die Gebrauchsanweisung vom Anfang wirklich befolgt wird. Hier und da knirscht es dramaturgisch, etwa beim Auftritt des Kriegsgottes (Florian Kager) als Fernsehkoch oder bei den mediengeilen Politikern im Schlussbild. Hier wie dort findet man nicht die Bindung zum Stück – und zur Gebrauchsanweisung. Aber das sind kleine Einwände bei einem insgesamt großen Theaterabend.