Henri Maximilian Jakobs steht im Spotlight mit umgehängter Gitarre singend vor einem Mikrofon, dahinter sieht man einen Sonnenschirm

Weg zum Glück

Henri Maximilian Jakobs: Paradiesische Zustände

Theater:Schaubühne, Premiere:01.10.2025 (UA)Regie:Thomas Ostermeier

Henri Maximilian Jakobs performt an der Berliner Schaubühne seinen autofiktionalen Roman „Paradiesische Zustände“ über seine Geburt als Transmann – wärmer, sanfter und sonniger als zwischen den Buchdeckeln.

In weitem Wollpullover, Hipster-Shorts und hochgezogenen Sportsocken steht Henri Maximilian Jakobs am Mikrofon. Sehr Berlin-like und sehr charmant lächelt er hinter seinem borstigen geschätzt 15-Tage-Bart hervor. „Ich komme ja eigentlich von der Musik“, sagt er fast entschuldigend, hängt sich die E-Gitarre um und singt erst einmal. „Was will die Welt von mir?“ heißt der Song – darüber hat der Mann, der im Körper einer Frau zur Welt gekommen ist, sehr lange gegrübelt. Bevor er überhaupt auf die Idee gekommen ist, das eigene Geschlecht zu hinterfragen.

Aber in welcher Rolle singt er diesen Song: als Henri Maximilian Jakobs oder als Johann, seine Romanfigur? „Ich habe einen Roman geschrieben“, sagt er als Henri. „Oft werde ich gefragt: Ist das deine Geschichte? Bist du das in dem Buch? Ich weiß nicht, ob Schriftsteller Sebastian Fitzek das auch dauernd gefragt wird.“ Ein Satz, der für ein Interview taugt – auf der Bühne geht das Spiel mit Wahrheit und Fiktion natürlich trotzdem munter weiter. Denn manchmal sagt hier eben Henri „Ich“ – die meiste Zeit aber die Romanfigur Johann.

Zum Beispiel, wenn er auf der kleinen begrasten Bühne, wo er im Liegestuhl unter einem Sonnenschirm mehr kauert als liegt, vom Pauschalurlaub mit seiner besten Freundin Louise erzählt. Wie er, damals noch im Körper der „sie“, in zeltartiger Kleidung, die Louise „Schneeanzug“ nennt, in der Hitze am Strand sitzt. Kein Zentimeter des „Wolpertinger-Körpers“ soll gesehen werden. Unförmig fühlt er sich, konturlos. Und er bewundert die Lässigkeit, die Freiheit der fünf Jungs, die neben ihnen in Shorts Fußball spielen. Die alte Drag-Queen nennt ihn am Abend an der Bar einen schönen Mann – doch es dauert noch sehr, sehr lange, bis Johann versteht, dass er genau das ist: ein Mann. Diese Kontur ist noch nicht aus seinem Körper herausgemeißelt worden.

Schon im Paradies

Es ist ein ewiger Höllenritt, den Johann im Buch zurücklegt. Vom Duschen im Dunkeln, um den eigenen Körper nicht sehen zu müssen, über eine erst glückliche dann unglückliche Liebe, eine schwere Depression mit gravierenden Selbstverletzungen und schließlich einen Aufenthalt in der Psychiatrie mit der ambivalenten Erkenntnis: Jetzt geht die Reise erst los. Raus aus der Hölle, rein in die Odyssee der Paragrafen, Gutachten, Therapien, Atteste, Gerichts- und Bürgeramtstermine. Bis das erste Mal „Johann“ auf dem Pass steht. Und die Operationen folgen können, ebenfalls kein Kinderspiel.

Auch im Roman weiß man, dass Johann es schaffen wird. Durch ein winziges Guckloch ins „Paradies“, das der Autor zu Beginn freilegt und dann den Countdown startet: 6 Jahre, 8 Monate und 21 Tage bis zum Glück. Ein langer Weg, der zwar mit einfallsreichen Metaphern, Wortspielen, ungewöhnlichen Gedanken und viel Humor gepflastert ist – aber tiefschwarz grundiert. „Man zieht den Tränen Hausschuhe an, damit sie nicht so viel Lärm machen, wenn sie die Wangen hinunterlaufen.“

Auf der Bühne dagegen ist sowohl Johann als auch Henri schon in den „Paradiesischen Zuständen“ angekommen. Er steht in einem schönen Männerkörper auf der Bühne, fühlt sich offensichtlich pudelwohl in seiner Haut – und erzählt nun lächelnd, glücklich, ganz präsent über die Zeit, die längst vergangen ist.

Warmherzig, bewegend, optimistisch

„Erzählen“ ist hier durchaus das richtige Wort, denn Henri Maximilian Jakobs „performt“ wenig und schlüpft nicht in die Rollen der Menschen, die er zitiert. Nicht in Dan, seinen bornierten, idiotischen Chauvi-Chef in der Würstchen-Bude, nicht in Louise, seine toughe beste Freundin, und auch nicht in Sam, seine große Liebe. Er führt wie ein guter Freund durch seine Lebensgeschichte – pointiert zwar, aber nicht exaltiert. Und nie im Rückgriff auf alte Emotionen, die heute nicht mehr da sind. Selbst die herbsten Tiefschläge wirken in diesem hellen Licht der Gegenwart weniger brutal, fast sanft. Die Bitterkeit der bürokratischen Schikane klingt in der zweiminütigen Sound-Collage aus Ärztinnen- und Gutachter-Stimmen, die hier abgespielt wird, höchstens an.

Es ist die kurze, aber warmherzige, bewegende und optimistische Erzählung eines Menschen, der sich befreit hat. Man muss diesen Menschen einfach mögen, mit all seinen lustigen Wortschöpfungen und seiner Gutartigkeit. Spätestens, wenn er das Brot, das er den Abend über an einem kleinen Tischchen geknetet hat, aus dem Bühnen-Ofen holt und mit dem Publikum bricht. Henri hat es gebacken, reicht es nach dem Schlussapplaus, also nicht mehr als Bühnenfigur, durch die Reihen. Aber Johann macht im Roman die Bäcker-Ausbildung. Auch hier wieder: eine (augenzwinkernde?) Überschneidung von Fiktion und Autofiktion.

Ein schöner Mutmacher-Abend, für die Bühne arrangiert von Thomas Ostermeier. Wer wirklich in die Abgründe auf dem Weg zur Transition blicken will, der muss allerdings das Buch (mit all seinem schwarzen Humor) zur Hand nehmen.