Am Meer und im Schützengraben

Beatrice Bodini/Tarek Assam: Wellenbrecher

Theater:Harztheater, Premiere:02.10.2025

Der neue Tanzabend „Wellenbrecher“ am Harztheater in Halberstadt vereint zwei sehr unterschiedliche Themen in Choreografien von Tarek Assam und Beatrice Bodini: „What?“ verhandelt Rollenmuster, während „One more Yard Letter“ Front-Soldaten in der Hoffnung auf Heimkehr zeigt. Das Ensemble beeindruckt in beiden Stücken.

Vielleicht ist es der Titel „Wellenbrecher“, dazu das Plakat mit der meerumtosten Sportlerin, der einen im ersten Stück des zweiteiligen neuen Kammertanzabends am Harztheater in Halberstadt zunächst viele Bewegungen aus dem Hallenbad assoziieren lässt. Leicht in den Knien wippend breiten die sieben Tänzerinnen und Tänzer ihre Arme seitlich aus, ein bisschen wie Schwimmbewegungen, nur in die Senkrechte verschoben, als guckten wir Zuschauenden von unten auf die Menschen an der Wasseroberfläche. Manche stechen ihre Arme dann abwärts ins Element. Als sich die Tanzenden mit ausgestreckten Armen recken, sieht es aus, als setzten sie zum Sprung an.

Mit dem Strom schwimmen oder dagegen?

Tarek Assam, langjähriger Tanzchef im Doppeltheater Halberstadt/Quedlinburg, dem jetzigen Harztheater, will in seinem Stück „What?“ natürlich keinen Schwimmunterricht geben. Aber darum, ob man mit oder gegen den Strom schwimmt, geht es schon. Schnell wird man unfreiwillig zum Wellenbrecher, wenn man dem allgemeinen Trend nicht folgt, kann aber vielleicht auch die Trendumkehr schaffen.

Eine Tänzerin isoliert sich, hat zuckend und expressiv sich verknotend mit sich selbst zu kämpfen. Ein  Paar findet sich, wagt die Umarmung, von den anderen erst interessiert, dann feindlich beobachtet. Die pubertäre Faszination für das erste Paar, das seine erotische Zugewandtheit offen zeigt, schlägt um in Ablehnung. Das Paar bleibt in energischem Kontakt zusammen, auch als die anderen bedrohliche Schreie ausstoßen.

Da die schwarzen Einheitskostüme aus Shirt und Hosen keine soziale oder ethnische, kaum eine genderspezifische Verortung zulassen, bleibt der Grund der Anfeindung abstrakt. Einerseits verschleiert das die oft queerfeindlichen oder xenophoben Ausgrenzungen in jugendlichen Gruppen. Andererseits macht es so deutlich, dass welcher Grund auch immer nie ein wirklicher Grund sein kann für ein diskriminierendes Verhalten, das grundsätzlich abzulehnen ist.

Assams Choreografie verlangt auch allerlei eher artistisch wirkende Klettereien, wenn eine Tänzerin sich über zwei verzahnte Jungs breitet oder zwei Tänzerinnen auf den Schultern zweier Tänzer reiten. Ein Tänzer muss sich dann doch topless in der Gruppe durchsetzen, gestaltet ein intensives Solo. Während andere Paare inzwischen Kopf an Kopf tanzen, markiert ein Tänzer zuletzt mit einem besitzergreifenden Anpacken der Partnerin und der herausfordernden Frage „What?“ ein merkwürdig alten Rollenmustern entsprechendes Verhalten, da wollten wir doch nicht wieder hin, oder? Assam will laut Programm auch die „widersprüchlichen Dynamiken“ von Beziehungen benennen und „humorvoll“ zuspitzen. Hmm. Im Schwimmbad kriegte der Typ jetzt die rote Karte. Seinem „Wieso, was ist denn?“ könnte man jetzt nochmal das ganze Stück entgegenrollen.

Bewegungen im Schützengraben

Den zweiten Teil des Abends nimmt „One more Yard Letter“ von Beatrice Bodini ein, das sich einem ganz anderen Thema widmet. Dem Brief eines irischen Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg folgend, der auch eingesprochen wird, geht es in hier sehr konkreten Kostümen, nämlich Soldatenmänteln, um das Überleben im Feld dank der Hoffnung auf Heimkehr. Die Bewegungen sind häufig realem Handeln entlehnt, zeigen das Heben, Tragen, Stützen eines Verletzten, sein zitterndes Aufbäumen, Sprünge in den Schützengraben, aufgefangen von den Kameraden. Mehr und mehr schließen sich die Tanzenden zusammen, bleiben als wabernde Gruppe an den Gliedmaßen miteinander verbunden, bieten sich, gemeinsam unter ihre Mäntel gekuschelt, Schutz und Geborgenheit. Wenn man so will: ein bisschen Heimat als Abglanz der ersehnten Heimkehr. Eine sehr direkte Choreografie. Das Ensemble bringt sich sehr energievoll in beide Stücke ein.