Katja Riemann liegt auf einer mit Plastikkanistern umstellten Erhebung. Über ihr ranken Kabel von der Decke.

Gegen Kapitalismus, Krieg und den ganzen Rest

Sibylle Berg: Ein wenig Licht. Und diese Ruhe.

Theater:Schauspiel Hannover, Premiere:26.09.2025 (UA)Regie:Lena BraschMusikalische Leitung:Pascal Ritter

Am Schauspiel Hannover inszeniert Regisseurin Lena Brasch Sibylle Bergs Stück „Ein wenig Licht. Und diese Ruhe.“ als Tirade gegen die aktuellen Probleme unserer Zeit. Dabei lässt sie Schauspielerin Katja Riemann eine Art Gedankenfluss vortragen, der das Publikum mit vielen Fragen, aber wenig Antworten konfrontiert.

Die Aktualität von Sibylle Bergs Monolog „Ein wenig Licht. Und diese Ruhe.“ scheint täglich deutlicher. Noch am Tag der Uraufführung am Schauspiel Hannover probte die NATO in Hamburg beim Manöver „Red Storm Bravo“ für den Ernstfall, an dem das kriegslüsterne Russland den seit Jahren gegen die Ukraine geführten Angriffskrieg weiter nach Europa ausdehnt. Täglich gibt es Meldungen dazu über Propagandalügen, den Einsatz von Kampfjets, Hacker- und Drohnenangriffe. Alles mit dem Ziel, Infrastruktur und europäischen Zusammenhalt zu destabilisieren. Waffenhersteller machen derweil Rekordumsätze, weil etwa die NATO ihre Ausgaben im Vorjahr um mehr als zehn Prozent, Deutschland seinen Wehretat gerade auf annähernd 90 Milliarden Euro erhöht hat. Und es wird über die Widereinführung der Wehrpflicht diskutiert. Da setzt Berg an. Auf Wehrpflicht folge Mobilmachung folge Krieg. So denkt die Autorin die angespannte Situation bis zur Eskalation. Aber eben satirisch. Und so bekämpfen sich in ihrem Stück nicht irgendwelche Großmächte, sondern die Steueroasen Liechtenstein und Luxemburg. Als Ausdruck „imperialistischer Geopolitik“.

Rituale gegen die Realität

All das zu formulieren hat ein namenloser Ingenieur, der sich als queer bezeichnet und in der Rüstungsindustrie gearbeitet haben will, was im Folgenden aber keine Rolle spielt. Auch weil er weniger eine psychologisch tiefer ausgeleuchtete Person, eher ein Sprechkörper ist. Vor den Kampfhandlungen hat er sich in einen Bunker geflüchtet, für dessen Anmutung auf der Cumberlandschen Bühne nicht viel Bühnenbildaufwand getrieben werden muss. Immerhin wird dem Protagonisten eine Sofalandschaft spendiert, allerdings im abweisend kantigen und harten Plastikdesign. Aus projiziertem digitalen Rauschen erwacht der von Katja Riemann gespielte Protagonist. Sie spricht die ersten Sätze als Loop, weil das Leben wohl jeden Tag gleich ritualisiert abläuft. Monotones Wassertropfen ist zu hören. Und schon hebt die Suada an gegen Krieg als „alternativloses Mittel, um die Werte, Grenzen oder Interessen der kritisch gelesenen weißen Bevölkerung des Landes zu verteidigen“. Dass einige Menschen doch mal kurz dagegen waren, habe nur einen Grund gehabt: „Sie wollten wieder in Ruhe grillen.“

Worte gegen die Verzweiflung

Der Abend ist ein Anreden gegen die eigene Angst, Einsamkeit, Ohnmacht und die Dummheit der anderen. Immer wieder wird die verzweifelt zugequatschte Leere von Kriegslärm erschüttert, einmal flimmern auch Kriegsvideoschnipsel über die Rückwand. Und was fällt Regisseurin Lena Brasch sonst noch ein? Beim Stichwort „Unschuld“ lässt sie Riemann eine Brille aufsetzen, um Schuld und Schuldige schärfer zu sehen und benennen zu können. Beim Stichwort „Synapsen“ steckt Riemanns Kopf im Kabelkasten der unterirdischen Behausung. Gegen die Unordnung an der Oberfläche puzzelt sie das Mobiliar zu einer ordentlichen Sitzlandschaft in abgerundeter Rechteckform zusammen und räsoniert dabei aufs Publikum ein, geht im Angriffsmodus auch gern mal auf der Zuschauertribüne. Alles sehr konventionell. Eine Bereicherung aber ist Pascal Ritter, der mit verzerrten E-Gitarren-Sounds das Spiel atmosphärisch umfängt, mit fragmentierter Melodik auch mal stützt, herausfordert oder besänftigt.

Hasssätze gegen den Krieg

Riemann agiert viel facettenreicher als in ihren Filmrollen, verortet Sätze in kindlicher Unschuld oder jugendlicher Desillusionierung, pendelt zwischen mittelaltem Spaßzynismus sowie ernsthaftem Betteln um „Wahrheit“ wie auch „Sinn“ und kehrt schließlich ein zu altersweiser Depression. Meist aber ist die Schauspielerin eine kecke Entertainerin des Textes. Treffsicher haut sie Kurzsätze heraus. Manchmal wirkt es, als würde sie Sibylle Berg spielen. Wie die Autorin hält aber auch Riemann das Publikum emotional auf Abstand. Ihre Performance ist eher ein Vortrag. Allerdings wird kein Gedanke nachvollziehbar entwickelt. Vielmehr collagiert Berg nur Formulierungsschnipsel zu ihren wohlbekannten Themen im wohlbekannt fiesen Tonfall eines bitterernsten Sarkasmus, ohne allerdings die Pointendichte früherer Stücke zu erreichen. Es ist ein schwarzmalerischer Assoziationsstrom ohne Handlung und Entwicklung, aber voller erfrischender Hasssätze gegen Kapitalismus, Triggerwarnungen, politisches PR- und privates Selbstverwirklichungsgeschwätz, gegen asoziale Medien, den Tod, die Reduktion menschlichen Begehrens auf „Sex, essen, schlafen, reich werden“ usw. usf. Vor allem aber gegen die Folgen wachsender Militarisierung. „Die Welt wird nicht verschwinden, nur wir. Der Krieg ist hier angekommen, auf der Welt, und wird erst enden, wenn wir verschwunden sind. Unter der Erde.“ Lautstarker Uraufführungsjubel folgt auf die untergangsselige, aber flott servierte Gedankenspielerei.