Der neue Glanz der Uniformen

Carl Zuckmayer: Der Hauptmann von Köpenick

Theater:Staatstheater Cottbus, Premiere:20.09.2025Regie:Sebastian Hartmann

Sebastian Hartmanns Inszenierung von „Der Hauptmann von Köpenick“ am Staatstheater Cottbus spielt mit dem Amüsierwillen des Publikums und entpuppt sich als alles andere als eine Komödie, nämlich als ernster, bitter-böser Abend.

Wo endet der Lebenstraum, beginnt die Illusion, am Ende die nackte Lüge? Der Anfang dieser Inszenierung von Sebastian Hartmann hier am Cottbuser Staatstheater ist eine glatte Irreführung. Theater auf dem Theater, die Welt der Eitelkeiten mit Glitzerkostüm und einem Aufmarsch der Moderatoren, die inmitten peitschender Musik die selbst produzierte Aufregung vorgeben wieder beruhigen zu wollen.

Ein Narr im Fantasiekostüm erklärt, er wolle durch den Abend führen, so dass wir auch alles verstehen. Er spricht Schweizerdeutsch mit etwas, das wie ein holländischer Unterton klingt.  Ein Chor von Büttenrednern besetzt die Bühne, dem man offensichtlich verboten hat hier auch nur ansatzweise zu berlinern. Man redet Faschingskölsch oder irgendetwas. Es ist schreiender Unsinn – aber der hat Methode.

Eine Komödie?

Lustig? Nein eher vorsätzlich infantil mit einem starken manipulativen Willen, der Angst machen könnte, wenn man ihn bemerkte. Aber das Publikum ist in Erwartung einer Komödie. Man unterwirft sich in Amüsierlaune dem Puppenkasper-Ruf „Seid ich alle da? Dann ruft mal alle: Hurra!“ Das Publikum macht willig mit, muss aber lernen, noch begeisterter zu rufen und Hartmann führt es gnadenlos wie an Fäden hängende Marionetten vor. Es ist, um es gleich zu sagen, ein bitter-böser Abend im Guckkastenbühnenbild, das Hartmann seiner Zuckmayer-Lesart als Rahmen vorgibt.

Wir sind nicht, was wir scheinen? Das ist keine neue Auskunft. Zuckmayer erzählt anhand seines Hauptmanns von Köpenick die Geschichte eines Hochstaplers, dem es gelingt, alle über seine wahre gesellschaftliche Stellung zu täuschen. Vor hundert Jahre galt dies als eine moralisch verwerfliche Außenseitergeschichte, heute trifft es den Nerv unserer Instagram-, Facebook- und Tiktok-Identität, ein Patchwork lauter greller Bilder, mehr nicht – also eigentlich gähnende Leere. Und doch, so sagt der Zeitgeist, ist man ohne eigenen Account eigentlich gar nicht existent. Ich bin nur ich, wenn man mich wahrnimmt, wodurch auch immer? Das ist der bis ins Extrem geriebene Narzissmus – und anhand seiner erweckt Hartmann die Ideologiekritik neu.

Abwehr von Ideologie

Zwei entscheidende Punkte zeigen ihn hier als Regisseur mit ostdeutscher Sozialisierung: Seine reflexartige Abwehr jeder Ideologie, jedem staatlichen Ordnungsruf gegenüber. Nein, da stellt sich einer nicht in den Dienst einer Sache, welcher auch immer. Doch verweigert sich Hartmann zugleich jedem Anflug eines politisierenden (oder gar moralisierenden) Agitprop-Theaters, das den Zuschauer „mobilisieren“ will.

Die Guckkastenkastenbühne bei „Der Hauptmann von Köpenick“. Foto: Bernd Schönberger

Hier tritt ein forciert chaotischer Wilhelm-Voigt-Chor vor uns, in dem alle Mitwirkenden abwechselnd zum Hauptmann von Köpenick werden. Der frühere Zuchthäusler, der Außenseiter bleiben wird, der ohne Pass kein Mensch ist. Bevor er seine letzte Hoffnung auf eine Uniform setzt, arbeitet das Prinzip Uniformisierung in der Gesellschaft ihm vor. Bereitet den Boden für den Erfolg seiner Maskerade. Und diese Uniformisierungshybris bricht wie ein Fieberschub über uns herein, die wir doch bis eben unseren Individualismus pflegten. Nur eine Uniform sehen wir hier und diese ähnelt einer Königsrobe: Man trägt sie gebückt herein wie eine Monstranz.

Irrsinn und Aktualität

Schritt für Schritt gerät die Tragikkomödie so auf den Passionsweg. Der aufgeregt-überdrehte Ton auf der Bühne resultiert nicht aus unbeschwertem Amüsierwillen, er hat etwas vom Irrsinn eines Totentanzes. Über die Aktualität seines „Hauptmann von Köpenick“ äußert sich Hartmann bündig: „Angesichts des wieder aufkommenden Militarismus hält er uns den Spiegel vor. 3,5 Prozent in die Rüstung stecken, Gewehre, Panzer, Raketen in Konfliktherde liefern – was für ein Wahnsinn! Der Gedanke ‚Nie wieder!‘ ist weg.“

Der Abend schwelgt nicht im Rühmann-Juhnke-Thalbach-Kolorit. Jeden Anflug von Nacherzählung zersprengt Hartmann in lauter Sinnpartikel, wie man das von ihm bereits gewohnt ist. Doch hier erlangt das Tableau über Sein-und-Schein eine unerwartete Intensität – auch dank der acht bravourösen Schauspieler und Schauspielerinnen, die hier alle Wilhelm Voigt und seine Negation zugleich sind. Von Torben Appel, Gunnar Golkowski, Benjamin Kühni, Charlotte Müller, Ariadne Papst, Markus Paul, Charlie Schülke bis zu Lucie Luise Thiede springen sie immer unvermutet aus dem Guckkasten wie aus dem Schützengraben hervor, um sich wieder in ihm abzuducken. Die ins Groteske gesteigerten Miniaturen, aus denen der Abend besteht, fordern ihnen einiges ab – und nicht nur sie selbst, auch die Zuschauer machen dabei unerwartete Entdeckungen. Wie expressiv etwa kann die Trennung von Mimik und Sprache doch sein, wenn die Sprechenden nur grimassieren und dabei vom Chor synchronisiert werden. Derartige Stilmittel verstärken immens den künstlichen Charakter dieses „Hauptmanns von Köpenick“.

Keine Komödie

In einer Szene sehen wir Carl Zuckmayer selbst, der, im Zug fahrend, sich an den Ersten Weltkrieg und den Schützengraben erinnert, aus dem er wohl nie mehr herauskommen wird. Ein ernster Monolog – an dieser Stelle ist wohl dem letzten Zuschauer klar geworden, dass hier keine Komödie gespielt wird.

Die Geschichte vom Schuster Voigt, der schließlich die Maskerade der Macht durchschaut und in einer Hauptmanns-Uniform aus dem Kostümverleih das Rathaus in Köpenick stürmt, schien bis eben eine Geschichte aus kaiserlicher Vorzeit zu sein, wo die Untertanen auf Uniformhörigkeit programmiert waren. Hartmann zieht sie unter dem Schutt der Historie hervor – und siehe, das Grauen ist mitten unter uns, so wie in einer der bösen Clownerien Stephen Kings. Dazu hören wir am Ende das Lied: „Wozu ist die Straße da? Zum Marschieren in die weite Welt.“ Wahrlich ein Abgrund, der sich hier öffnet.