Mittelalterspektakel und Melancholie

Richard Wagner: Tannhäuser

Theater:Theater Magdeburg, Premiere:14.09.2025Regie:Adele ThomasMusikalische Leitung:Erik Nielsen

Am Theater Magdeburg inszeniert Adele Thomas Wagners „Tannhäuser“ zwischen unfreiwilliger Selbstparodie und Karikatur der Wartburggesellschaft. Musikalisch und szenisch gewinnt die Inszenierung aber im Verlauf des Abends.

Wahrlich, der Sänger ist unbehaust. Weder im Hörselberg darf er sich heimisch fühlen noch auf der Wartburg. Obschon Venus und Elisabeth vieles unternehmen, um ihn in ihren jeweiligen Bezirken anzusiedeln. Die unkeusche Göttin wirft sich gar ins Gewand der Gottesmutter und fasst Posten in einer jener strahlenbekränzten Nischen, mit denen Heiligenhäuschen und Barockaltäre aufwarten. Ob er nun der Liebesgöttin oder der Himmelskönigin zu Willen ist, signalisiert sie ihm, kommt aufs Gleiche hinaus. Ohnehin nehmen sich für die erotischen Dienstleistungen Flügelwesen seiner an, die ihm gestatten, ins Tierisch-Lüsterne gefallene Engel zu imaginieren. Heftig und schmiegsam zugleich agitiert ihn zu diesem Ziel das von Emma Woods choreografierte vierköpfige Tanzensemble.

Wenn des Hörselbergs Herrin das Marienkostüm fallen lässt und dem ohnehin allzu heftig von Sinnesreizen Bedrängten die vielen Busen der Artemis von Ephesos darbietet, katapultiert ihn die maßlose Fülle der lüsternen Zudringlichkeiten in einer Übersprungreaktion zurück auf die Erde. Freilich wird ihm dort der Genuss von Wald und Nachtigallensang vorenthalten, unversehens nötigt ihn die Wartburggesellschaft in jenes dröge Ritterspiel, aus dem er sich einst retirierte. Tugendbolde und -boldinnen geben den Ton an. Ob bei dem jeder der sommerlichen Freilichtproduktionen auf irgendwelchen Burgen mühelos standhaltenden Kostümfest, Elisabeth um Tannhäusers willen auf dessen Rettung aus ist oder der Selbstprofilierung halber aus der konventionellen Rolle fällt, muss unentschieden bleiben. Jedenfalls macht Effekt, wenn sich die prospektive Heilige unter vehementem Körpereinsatz auf den zu Boden Gestoßenen wirft und ihn so vor dem drohenden Gewaltexzess des Wartburgmobs bewahrt. Überhaupt ist der Sängersaal nur scheinbar ein Ort des Diskurses. Wer an die vermeintlichen Wahrheiten der Herrschenden rührt, zieht den Bannfluch auf sich.

Indifferent

Schwarze Soutane, kostbare Stola und ragende – wiederholt verrutschende – Kopfbedeckung weisen den Landgrafen als Hohepriester einer synkretistischen Religion aus Christentum und Kunstvergottung aus. Ganz ernst zu nehmen ist das nicht. Allzu sehr kommt Thüringens Herrscher als Popanz daher. Allzu fadenscheinig und wie aus zweiter Hand dünkt das Mittelalterbrimborium insbesondere der Kostüme, doch kaum minder die zierlichen Balustraden zur Abschrankung des Auditoriums im Sängersaal. Kaum zu entscheiden, ob Regisseurin Adele Thomas im Verein mit Bühnen- und Kostümbildnerin Cécile Trémolières die unfreiwillige Selbstparodie der Wartburggesellschaft oder eine regelrechte Karikatur im Sinn hatten. Offenheit bekommt der Kunst außerordentlich. Nur wird es schwierig, wenn sie sich dermaßen indifferent gibt wie auf der Magdeburger Bühne. Freilich entschädigt der Schlussakt für solche Unbill. Thomas erzählt schnörkellos, Trémolières leert die Bühne bis auf ein kahles Bäumchen, so dass der todesmatten Atmosphäre selbst das kostümliche Mittelalter wenig anhaben kann.

Tannhäuser Theater Magdeburg

Tannhäuser im Venusberg. James J. Kee, Tanzensemble. Foto: Andreas Lander

Musikalisch perfektibel

Gleich der szenischen erwirbt die musikalische Seite des Magdeburger „Tannhäuser“ viele ihrer Meriten final. Unter Martin Wagner werden der Chor des Hauses und die Magdeburger Singakademie im Lauf der Aufführungsserie sicher noch an Durchschlagskraft und dynamischer Feinabstufung gewinnen. Erik Nielsen entlockt der Magdeburgischen Philharmonie zahlreiche transparent ausmusizierte Passagen vornehmlich im Holz und in den tiefen Streichern. Doch erst im Schlussakt fügt sich der Orchesterklang zur Einheit. Tiefe Melancholie tönt nun aus dem Graben. Auch James J. Kee läuft für die Titelfigur erst nach der Rückkehr vom Papst zur Hochform auf. Seine Romerzählung, sein letztes Aufbegehren und Hinscheiden wissen zu packen. Aurora Marthens verleiht ihrer Elisabeth durchweg famose Leucht- und Strahlkraft samt exemplarischem Legato und außerordentlicher Textverständlichkeit. Marko Pantelić bietet für Wolfram von Eschenbach seinen Kavalierbariton auf. Johannes Stermann ist ein vokal profunder Landgraf. Die Venus von Jadwiga Postrożna nimmt durch stimmliche Attacke für sich ein. Gediegen sind zudem alle weiteren Ensemblemitglieder.