Der sorbische Zauberlehrling

Marius Felix Lange: Krabat

Theater:Gerhart Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau, Premiere:13.09.2025Regie:Rebekka StanzelMusikalische Leitung:Roman Brogli-Sacher, Ulrich Kern

Marius Felix Langes Familienoper „Krabat“ nimmt am Gerhart-Hauptmann-Theater nicht nur mit auf eine Zeitreise. Musikalisch intelligent und instrumental stürmisch springt die Oper zwischen realer und fantastischer Ebene.

Die sorbische Volksfigur Krabat stammt mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht aus uralten Volkserzählungen, sondern aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Macht nichts. Die Sage vom Lehrling Janko Krabat in der alten Mühle, deren Hexenmeister, einem satanischen Abhängigkeitsverhältnis, Parallelkonstruktionen zu christlichen Inhalten und Erlösung sichern dem Stoff in der Lausitz, spätestens seit Otfried Preußlers Roman aus dem Jahr 1971 auch national und international breites Interesse. Der vom Gerhart-Hauptmann-Theater und dem Lausitz Festival an Marius Felix Lange nicht weit vom Handlungsschauplatz Schwarzkollm zwischen Hoyerswerda und Kamenz vergebene Kompositionsauftrag hat seine Berechtigung. Gewiss auch als Regionalreplik auf mindestens fünf seit Cesar Bresgen vorausgegangene Musiktheater-Schöpfungen – vor allem aber, weil Langes aus mehreren Quellen entwickeltes Libretto und die Musik dazu einfach sehr gut sind.

Aus den Prosatexten des Sorben Jurij Brězans und Otfried Preußlers sowie umfangreichen Recherchen Langes wurde der magische Abenteuerstoff zum Entwicklungsroman-Mysterium mit symbolisch-psychologischem Tiefgang. Der Einsatz gleich dreier Dramaturgen (Martin Stefke, Alexander Meier-Dörzenbach, André Meyer) für Langes eigenes pointiertes Libretto sowie szenische Kompaktheit hat sich vollauf gelohnt. Neben den Stars des Ensembles agierten neun Studenten der Dresdner Hochschule für Musik Carl Maria von Weber in den Partien der sich in Raben und zurück verwandelnden Müllerburschen und Zauberlehrlinge, von denen jedes Jahr einer zur Lebensverlängerung des Schwarzmüllers sterben muss. Unter anderem Yvonne Reich (Krabats rettende Mutter) und die Regisseurin Rebekka Stanzel waren bereits in der Görlitzer Produktion von Langes Überflieger-Märchenoper „Schneewittchen“ dabei.

Instrumentale Sturmflut

Wenn Lange in seiner „Familienoper“ sorbische Melodien und Sakralmusik aufgreift oder kunstvoll imitiert, geschieht auch das mit orchestralem Turboflow. Dieser instrumentalen Sturmflut setzen Felicia Bergström und Daniele Consorti bei den Verwandlungen der Menschen in Tiere bis zum Duell des Schwarzmüllers mit Krabat konturiert wirkungsvolle Videoanimationen entgegen. Bei der Premiere stehen überall Plastikraben im Foyer.

Aus Knabe wird Rabe“: Lange platziert geschickte Dialogstellen, setzt in den ariosen Flächen für die Solostimmen kaum Rezitative und für den Schwarzmüller Melodien wie Wagner für Wahlvater Wotan. Die kreative Überladenheit der Partitur wird weder matt noch schwülstig, selbst wenn der sorbische Krabat mit seiner magischen Melodie- und Musikfülle immer wieder in Tuchfühlung zu Strauss‘ als Ganzes weitaus filigraner organisierten „Frau ohne Schatten“ gerät. Komplex in den Paarkonstellationen sind beide Werke: Warum will der Schwarzmüller die ihm ihre Liebe und ihr düster lockendes Wesen anbietende Zauberin Smjertnica nicht?

Krabat am Gerhart Hauptmann Theater

Die Smjertnica (Shoushik Barsoumian), Der Schwarzmüller (Peter Fabig). Foto: Pawel Sosnowski

Leider hat Shoushik Barsoumian nur in der prologartigen ersten Szene einen ganz großen Auftritt. Lange ist zu intelligent, zu sensibel und zu versiert, um sich aus Wagner-Bezügen kreative Kicks zu holen. Sein sogar bei atonalen Eruptionen immer tonal klingender Musikoutput steht stilistisch eher bei den Zeitgenossen Ludger Vollmer und Peter Leipold, die aus jugendgerechten Stoffen satte Kompositionsanreize ziehen und alles wollen – nur keine Sprödigkeit, Askese oder Langeweile! Es ist erstaunlich, wie GMD Roman Brogli-Sacher in der Überakustik des Görlitzer Theaters mit der Neuen Lausitzer Philharmonie alle Reize und Üppigkeiten von Langes Partitur ausspielen lässt. Die Solostimmen kommen immer prächtig, obwohl ohne Verstärkung über den zwar licht klingenden, aber mit dichter Harmonik gepfefferten Instrumentalsatz. Eine vitale Leistung auch vom Hauschor (Einstudierung: Albert Seidl).

Düsternis, Ernst und Zeitreisen

Nur bei den Lausitzerinnen in sorbischer Nationaltracht wird Rebekka Stanzels Regie minimal ironisch, belässt aber sonst die 130 Minuten Musik in angemessenem Ernst und Düsternis. Auf der fast immer schwarzen Bühne setzt Vinzenz Hegemann das Mühlrad gleichzeitig als Zeittunnel, hinter dem sich Folkloristisches und Sakrales auftut. Die Lehrlinge, von denen einer gleich zu Beginn der bösen Frau in der Anderswelt zum Opfer fällt, sind wie Pilger im Grauen. Janko Krabat kommt unbedarft mit Cap und Hoodie an der nicht klappernden, aber auch nicht stillen Lausitz-Mühle vorbei und fällt aus der Gegenwart 400 Jahre zurück in Zeiten, als das Wünschen eher selten vor bösen Geistern schützte. Buyan Li verhält sich in der Titelpartie sehr nobel. Eine vor fragwürdigen Erziehungsmethoden flüchtende Ausreißerin ist auch unter den zwölf Lehrlingen, von denen einer zu Ostern dran glauben muss. Lisa Orthuber setzt als Měrćin eine starke Figur ohne Anspruch auf Quoten-Sonderbehandlung. Yalun Zhang als dem Schwarzmüller blind ergebener Jona und Max Roomsky als Filip stechen aus der in Langes Partitur und von der Regie sehr subtil behandelten Gruppe der recht lebendigen Gruppe der Müllerlehrlinge heraus.

Im Zentrum des Abends steht der am Ende mit der offenbar von ihm doch geliebten Smjertnica in eine andere Sphäre entschwindende Schwarzmüller. Peter Fabig ist glücklicherweise sehr jung für diese merkbar an die großen dämonischen Zerrissenen der Romantik angelehnten Partie. Er liefert eine große Leistung mit genau gesetzten Facetten der Angst und der Autorität, wird vom Publikum wie alle mit reichem und langem Applaus bedankt.

Bei aller Klarheit, Eindringlichkeit und gekonnten Sprüngen zwischen realer und fantastischer Ebene setzt diese Oper genügend Fragezeichen, auf die sich weitere Inszenierungen gewiss mit Neugier stürzen werden.