Ensemble aus „Der goldene Drache“ am Theater Hagen

Der Zahn in der Suppe

Péter Eötvös: Der goldene Drache

Theater:Theater Hagen, Premiere:13.09.2025Regie:Julia HuebnerMusikalische Leitung:Steffen Müller-GabrielKomponist(in):Péter Eötvös

Mit „Der goldene Drache“ zeigt das Theater Hagen einen kurzweiligen Spielzeitauftakt im Musiktheater. Julia Huebners Inszenierung folgt mit einprägsamer Darstellung und viel Liebe zum Detail Eötvös‘ Werk und hinterlässt einen tragisch-komischen Abend, der weiterarbeitet.

In „Der goldene Drache“ verschmilzt skurril-poetisch und bitter-komisch die Fabel einer Grille und einer Ameise mit dem Erzählstrang eines jungen Chinesen mit wahnsinnigen Zahnschmerzen. Inspiriert wurde Komponist Péter Eötvös von Roland Schimmelpfennigs gleichnamigem Schauspielstück von 2009. Im Auftrag von Ensemble Modern und der Oper Frankfurt komponierte er mit gekürztem Text das Werk über Einwander:innen. Es wurde 2014 im Frankfurter Bockenheimer Depot unter Eötvös‘ Dirigat uraufgeführt.

Dass dieses Werk stark exotistisch geprägt ist, wird schnell klar und gehört zur Satire des Stücks. Haupthandlungsort ist ein enger thai-chinesisch-vietnamesischer Schnellimbiss. Auf der Bühne des Theaters Hagen entsteht dieser durch eine mobile Küchenzeile aus Edelstahl. Als erste Produktion unter der neuen Intendanz von Søren Schuhmacher ist „Der goldene Drache“ Teil der Reihe closeUP!, bei der das Publikum mit auf der Bühne sitzt. Quasi spiegelverkehrt sind drei Zuschauer:innentribünen auf den Seiten- und der Hinterbühne aufgebaut. Das von Steffen Müller-Gabriel geleitete Orchester sitzt räumlich vor – vom Publikum aus dieser Perspektive gesehen hinter – der Bühne.

Wandelbare Bühne

Eötvös komponierte die Musik für ein kleines Orchester mit reduzierter Streicher-, Holz- und Blechbläserbesetzung. Die einfach besetzten Holzbläser:innen spielen dafür jeweils mehrere Instrumente, zusätzlich zur Flöte beispielsweise Piccolo- und Altflöte oder zum Fagott Kontrafagott. Für den Schlagzeuger steht in der Partitur eine ganze Reihe an zusätzlichem Schlagwerk wie Glasflaschen, Gemüsemesser oder Schnapsgläsern. Damit schrieb Eötvös für sein „Theater mit Musik“ eine breite Klangpalette für die die Handlung kommentierende Musik und die musikalischen Soundeffekte.

Fünf Sänger:innen spielen die über 20 Rollen, jede:r übernimmt davon zwei bis sechs. Die schnellen Kostümwechsel gelingen dem wandelbaren Ensemble mit Iris Holsteins Kostümen reibungslos. Für die verschiedenen Schauplätze nutzt Holstein wirkungsvolle Elemente: Eine Treppe führt vom Schnellimbiss auf der Hauptbühne ins vollgestopfte Lebensmittelgeschäft auf der Unterbühne, wo der Händler und Zuhälter (die Ameise) sein herangeschafftes Gut hortet. Durch Live-Filmer Kris Putela wird die dort spielende Handlung auf Bildschirmen fürs Publikum sichtbar übertragen.

eine Person liegt im Vordergrund auf der Bühne, dahinter ist ein Orchester erkennbarNike Tiecke, Philharmonisches Orchester Hagen. Foto: Leszek Januszewski

Als neues Ensemblemitglied debütiert Nike Tiecke am Theater mit seitenlang komponierten Zahnschmerzen. Im Glissando heult sie diese mühelos rauf und runter, liegt mit aufgerissenem Mund auf der Küchenanrichte vor dem ratlosen Küchenteam. Weil der frisch aus China angekommene Küchenjunge nicht versichert ist, muss die Zange her. Währenddessen ist die von Anton Kuzenok mit nachfühlbar leidenden Gesichtsausdrücken charakterisierte Grille gezwungen, bei der Ameise anzuschaffen, um im Winter etwas von deren Nahrungsration abzubekommen.

Tragisch-komisch

Regisseurin Julia Huebner setzt die Szenen der unterschiedlichen Handlungsstränge räumlich in Szene. Angela Davis schwebt in der Rolle der „Enkeltochter“ auf einem brückenähnlichen Bühnenelement frisch verliebt mit ihrem Freund (Ks. Richard van Gemert) in einigen Metern Höhe. Später wird er sie, weil sie schwanger ist, verlassen und für eine Vergewaltigung in den Keller zur Grille hinuntersteigen.

Schließlich landet der gezogene Zahn im hohen Bogen in der Suppe einer von Kenneth Mattice im roten Jupe und mit blonder Perücke gespielten Flugbegleiterin. Von Szene zu Szene wird der inhaltliche Ernst der Handlung freigelegt: Für den in der Küche verblutenden Jungen, der im vom Zahn hinterlassenen Loch im Mund seiner in China hinterlassenen Familie begegnet, stellt Holstein ein menschengroßes Gebiss auf die Bühne, in dem Mutter, Vater, Onkel und Tante sitzen. In der berührenden arienähnlichsten Partie des Werks im dritten Teil liegt Tiecke schließlich auf der Drehbühne, wo der Körper des Jungen in im Raum projizierten Wellen von der Strömung nach China zurückgetragen wird. Dort begegnet sein Geist auch der in Europa vergeblich gesuchten Schwester und nun flügellosen Grille, die den Winter nur seelisch und körperlich versehrt überlebt hat.

Mit „Der goldene Drache“ eröffnet das Theater Hagen mit einem musikalisch spannenden und inhaltlich relevanten Werk die Spielzeit im Musiktheater. Mit ihrer Inszenierung zeigt Huebner, wie wandelbar eine Bühne mit wirksam eingesetzten Elementen sein kann.