Foto: v.l.n.r. Helena Raser, Claron McFadden, Nina van Essen, Sophia Burgos, Alex Rosen, Michael Wilmering, Steven van der Linden © Caroline Seidel, Ruhrtriennale 2025
Text:Martina Jacobi, am 5. September 2025
Die Ruhrtriennale zeigt die Deutsche Erstaufführung von Philip Venables Oper „We Are The Lucky Ones“ über Einzelschicksale der Boomer-Generation der 1940er Jahre. Ted Huffmans Inszenierung bebildert minimalistisch und ohne viel Tiefe. Das Ensemble der Dutch National Opera und die Bochumer Symphoniker bieten eine hohe musikalische Leistung.
„We Are The Lucky Ones“ des britischen Komponisten Philip Venables wurde am 14. März 2025 im Rahmen des Opera Forward Festivals in Amsterdam aufgeführt und hatte nun die Deutsche Erstaufführung bei der Ruhrtriennale in der Bochumer Jahrhunderthalle. Schon für die Kammeroper „The Faggots and Their Friends Between Revolutions“ (aufgeführt bei der Ruhrtriennale 2025) arbeitete Venables mit Regisseur Ted Huffman zusammen. Dort war die besondere musikalische Darstellung tragendes Element der Inszenierung mit Instrumenten wie einer Viola da Gamba, Orgel, Xylophon und Akkordeon auf der Bühne, die von den Darstellenden gespielt wurden – eine intime und fein-humorvolle Fabel mit nahbaren Figuren.
Auch in dieser ersten Oper des Komponisten für großes Orchester fällt eine bewusste Instrumentierung auf. Die Musik für dieses Werk über Erlebnisse und Erinnerungen der Boomer-Generation der 1940er Jahre führt mit Einflüssen aus beispielsweise Hollywood, Bigband oder Jazz durch die Jahrzehnte von damals bis 2025. Mit musikdramatischem Feingefühl setzt Venables die Instrumente – großes Orchester mit Saxofon, Klavier und Akkordeon – ein, unterstreicht mit vollem Orchesterklang und einzelnen Soli Höhepunkte in Nina Segal und Ted Huffmans Libretto.
Prägungen der Boomer-Generation
Bassem Akiki leitet die Bochumer Symphoniker und die Sänger:innen ruhig durch Tempo- und Taktwechsel, formt einen ausgearbeiteten runden Klang. Einzelne Instrumente solieren gemeinsam mit dem durchwegs gut verständlichen und musikalisch auf sehr hohem Niveau singenden Ensemble der Dutch National Opera um Claron McFadden, Sophia Burgos, Nina van Essen, Helena Rasker, Steven van der Linden, Frederick Ballentine, Michael Wilmering und Alex Rosen.
Das englische Libretto basiert auf nüchtern erzählten Erinnerungen aus gesammelten Interviews. Auch hier war die Idee, das Berührende von Einzelschicksalen in einer Collage zusammenzufassen. Chronologisch folgt der Inhalt Schlüsseljahren mit einschneidenden Ereignissen wie dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945, der Ölkrise 1973 oder dem Fall der Berliner Mauer 1989. Das Ensemble spielt keine einzelnen Figuren, sondern singt und spricht die Erinnerungen aus der Ich-Perspektive einzeln oder zu mehreren. Die Sänger:innen werden zur kollektiven Stimme der westlichen Boomer-Generation.

Frederick Ballentine. Foto: RT2025/Caroline Seidel
All dies, die Prägungen durch einen Wiederaufbau und -anfang geprägt von Produktivität und Optimismus, veränderte soziale und ökonomische Strukturen, technische Entwicklungen und die individuelle Identitätsentwicklung darin, setzt Huffman in ein minimalistisches Setting: Die Bühne liegt wie eine Galerie um den Orchestergraben, Requisiten gibt es nur sehr vereinzelt. Das Ensemble ist während der gesamten Inszenierung auf der Bühne, einzelne Sänger:innen treten im vorderen Teil solistisch in den Fokus. Kostümiert (ebenfalls von Huffman) sind sie in grellen Pailletten und Farben oder im classy Anzug – eine Anspielung auf Eskapismus in Party-Freiheit und Chiqué? Schließlich zielten – so zu Beginn eingeblendet – die Interviews auch auf intime Erinnerungen, über die wenig gesprochen wurde.
Sentimentale Bebilderung
Die Kombination dieser Einzelschicksale mit der Zeitgeschichte, die alle mitreißt, ist durchaus eine Basis für berührende Momente. Genau auf dieses Überdauern von Geschehnissen und dem nebenbei passierenden Leben zielt der Titel ab; für die, die nach allem noch da sind: We are the lucky ones. Dem nachgestellt ist eine existenzielle und tief-poetischere Frage: Are we and why? Auf der Bühne setzt Huffman dem aber keine Reibungsflächen gegenüber und bleibt bei der bloßen, auch etwas sentimentalen Bebilderung mit zusätzlich eingeblendeten alten Fotos aus Kindheit, Jugend und Erwachsenenzeit der Interviewten (Videodesign: Nadja Sofie Eller, Tobias Staab).
Auch endet die Erzählung nicht bei nacherzählten Erlebnissen, sondern imaginiert Empfindungen beim Tod der alt gewordenen Boomer-Generation mit, das nimmt den Schicksalen die persönliche Erinnerung. Die Inszenierung hat im Ganzen etwas von einer Karikatur, aber es fehlt ein persönlicher Bezug zu den Figuren. Vielleicht auch, weil die Sänger:innen die Geschichte, aber nicht einzelne Charaktere darstellen. Die fragmentarische Struktur kann die Spannung nicht bis zum Schluss halten. Trotz darstellerisch und musikalisch hoher Leistung geht der Abend so dahin und ist dann auch irgendwann auserzählt. Für die Künstler:innen auf der Bühne gibt es großen Applaus.