Alle Darstellenden tragen Baustellenkleidung mit Helmen und Warnwesten. Ein Darsteller hängt an einem Seidenschal einarmig von der Decke. Die anderen schauen zu ihm auf.

Artistik im Guckkasten

Tsai-Wei Tien, Jan Möllmer: Moss

Theater:Kunstfest Weimar, Premiere:23.08.2025 (DE)Regie:Tsai-Wei Tien, Jan Möllmer

Beim Kunstfest Weimar verbindet sich Zirkuskunst mit Bühnentanz. Das Stück „Moss“ ist eine Zusammenarbeit des taiwanischen Focasa Circus und des Choreografenduos Peculiar Man: ein Versuch, Artistik mit Handlung zu verknüpfen, der beeindruckt, aber nicht ganz aufgeht.

„Ein rollender Stein setzt kein Moos an.“ In den besten Momenten ist in „Moss“ beim Kunstfest Weimar alles in Bewegung, sind die Artisten in faszinierender Bewegungskunst zu sehen. Sie erfüllen den Hinterhof auf der Bühne des Nationaltheaters mit vollem Leben, erobern ihn als Clique wieder und wieder.

Hinterhoftristesse

Gras welkt und Blätter liegen am Rand des Bühnenrunds verstreut. Den Hintergrund grenzt eine Blechwand mit Schiebetor ab. Links steht ein Baugerüst; Hinterhoftristesse. Ziemlich realistisch ist die Kulisse für das letzte Kapitel der „Circus Interdisciplinary Trilogy“ vom taiwanischen Focasa Circus gestaltet. Für dieses hat das Choreografenduo Peculiar Man (Tsai-Wei Tien und Jan Möllmer) den dramatischen Bogen gespannt, um Artistik mehr als eine Nummernrevue sein zu lassen.

Das geht nicht ganz auf. Gezeigt wird der Tagesablauf auf jenem Hof, auf dem fünf Jungen (Kuan-Ting Chen, Yu-Ping Chiang, Wei-Chen Chao, Chia-Hao Hu und Hung-Yi Tsai) toben. Mal jagen sie sich wie in einem Kennenlernspiel. Sie necken sich, stecken einen Jungen mehrfach in eine Tonne, wirbeln ihn durch die Luft. Einmal werden sie von Bauarbeitern vertrieben, kehren aber zu ihrem Spielplatz zurück.

Dazwischen werden immer wieder so etwas wie nonverbale Erzählpausen eingelegt, die das Tempo herausnehmen. Da sitzt ein Junge auf dem Boden und isst Chips. Mehrfach raucht ein anderer auf dem Gerüst fläzend. Über allem liegt oft Musik – von der Spieluhr bis zum Popsong –, die sich oft nicht einfügt. Da liegt zu wenig Poesie in der Luft, setzt die Produktion stellenweise Moos an.

Trick um Trick

Der Ansatz, eine neue Form von Zirkus zu zeigen, geht deshalb nicht komplett auf. Die Zwischenszenen sind unverständlich, weshalb die einzelnen Nummern unverbunden wirken. Sie fügen sich nicht zum Ganzen. Die Artistiknummern jedoch können sich sehen lassen. Da ist eine kleine Sequenz am Vertikalseil darunter, wird auf einer Tonne balanciert und mit Hüten jongliert. Manchmal liegt zu viel Kraft und zu wenig Ästhetik in den Bewegungen, bewundernswert bleiben sie. Schade, dass man in der Guckkastenbühne zu weit weg sitzt. Gewinnen solche Akte doch gerade durch die Intimität eines Varietés oder ähnlicher Räume ihren Zauber.

Der zeigt sich insbesondere bei einer Choreografie mit dem großen Reifen. Ein Mensch oszilliert in diesem über dem Bühnenboden, lässt ihn an den Händen kreisen, während die anderen hindurchspringen. Genauso beeindruckend ist ein Akrobatiktanz, in den einständige Handstände eingebaut sind. Und die Rasanz, mit der ein Akrobat sein Diabolo durch die Luft und an seinem Körper entlang sausen lässt, ist atemberaubend. In den drei Sequenzen passt die Choreografie auch auf die Musik. Lässt man sich einfach auf die Artistik ein, erfreut man sich am Spektakel, das erstmals in Europa zu erleben ist.