Zu sehen ist Annett Sawallisch, Schauspielerin am Schauspiel Leipzig, beim Covershooting hinter einer beschlagenen Scheibe.

„Wir waren unser eigenes Publikum“

Annett Sawallisch ist Ensemblemitglied am Schauspiel Leipzig. Im Gespräch berichtet sie über ihre Erfahrungen als Schauspielerin in Zeiten von Lockdown und Digitaltheater.

DIE DEUTSCHE BÜHNE Annett, du bist Schauspielerin im Ensemble des Schauspiels Leipzig. Inzwischen liegen mehr als zwei Jahre Corona-Ausnahmezustand hinter dir. Gibt es eine prägende Erinnerung? Woran denkst du spontan?

Annett Sawallisch Stille. Plötzlich war es sehr still. Nach einer Onlinevorstellung zum Beispiel. Da sitz ich am Tisch, man ist grade in einem wilden Ritt durch Kafkas „Schloss“ gestürmt ­ und dann ist es einfach nur still. Du klappst den Rechner zu und gießt dir ein Glas Wasser ein.

DIE DEUTSCHE BÜHNE Was hat dir gefehlt?

Annett Sawallisch Alles. Mein ganzes Leben als Schauspielerin. Wir wurden von einem Tag auf den anderen aus laufenden Proben herausgerissen. Plötzlich gab es nichts mehr, keine Vorstellungen, keinen Austausch in der Kantine, keinen Plausch in den Gängen. Die Aufregung war weg. Das Licht auf der Bühne. Der Geruch in der Maske. Der Applaus… einfach alles.

Aus Entspannung wurde Unruhe

DIE DEUTSCHE BÜHNE War das schlimm für dich?

Annett Sawallisch Zuerst war das sogar entspannend. Ich hatte plötzlich Zeit für Familie, Kochen, Spaziergänge … Wir hatten ja keine materiellen Sorgen. Wenn ich die Geschichten meiner freiberuflichen Kolleginnen hörte, kam ich mir sehr privilegiert vor. Doch aus der Entspannung wurde bald Unruhe. Ein schlechtes Gewissen. Ich wollte etwas für mein Geld tun. Es kamen Selbstzweifel.

DIE DEUTSCHE BÜHNE Doch dann ging der Theaterbetrieb weiter.

Annett Sawallisch Ja, zum Glück. Online. Ich glaube, Philipp Preuss war einer der Ersten, die ein Projekt ins Internet transferiert haben. Als klar war, dass wir nicht mehr proben dürfen, brachte er ein Konzept für eine Onlineversion seiner Kafka-Inszenierung an den Start. Als Live-Event, jeder spielte von zu Hause aus, wir saßen über halb Deutschland und Österreich verteilt. Punkt 20 Uhr ging an unseren Küchentischen quasi der Vorhang hoch.

Zu sehen ist ein Aufführungsfoto des digitalen Theaters am Schauspiel Leipzig von „Das Schloss“ von Philipp Preuss, mit Annett Sawallisch (2. v. l.).

Digitales Theater am Schauspiel Leipzig: „Das Schloss“ von Philipp Preuss, mit Annett Sawallisch (2. v. I.). Foto: Rolf Arnold

DIE DEUTSCHE BÜHNE Habt ihr dafür probiert?

Annett Sawallisch Ja, sehr viel sogar. Das war anstrengend. Wir mussten erst einmal lernen, via Zoom miteinander zu kommunizieren, das hat sehr viel Energie gekostet. Das waren ja keine normalen Gespräche. Man saß da alleine zu Hause und hat einander auf die Distanz nicht mehr gespürt. So konnte man nur schwer gemeinsam kreativ sein. Es brauchte immer einen, der klare Ansagen machte, die man dann erfüllen musste. Es wurde vor allem ein technischer Vorgang. Da ist mir erst richtig klar geworden, wie viel Luft Theaterarbeit braucht. Proben bestehen ja nicht nur aus schauspielerischen Vorgängen. Auch das ganze Drumherum gehört für mich dazu. Die Gespräche, die Streitereien, das Sich-ins-Wort-Fallen, die Pausen, das ganze menschliche Miteinander eben. Dennoch war es eine tolle Erfahrung, Philipp Preuss und die Videokünstlerin Konny Keller haben nur mit den Mitteln von Zoom gearbeitet, alles geschah live, ohne Schnitte. Es war ein großartiges Projekt…

DIE DEUTSCHE BÜHNE …das es schließlich auch noch auf die Große Bühne geschafft hat.

Annett Sawallisch Ja, fast zwei Jahre später und nach mehreren Anläufen. Wir haben die Bühnenversion im Herbst 21 fertig probiert, bis zur Generalprobe, dann wurde es eingefroren, und wir gingen erneut in einen Lockdown. Komisches Gefühl, wenn die Erlösung einer Premiere fehlt. Die kam erst im Februar, nach einer weiteren Endprobenwoche, aber ohne Premierenparty: Für uns galt ein striktes Versammlungsverbot, die Gastronomie war zu, das war auch ein sehr eingeschränktes Premierengefühl.

DIE DEUTSCHE BÜHNE Du warst auch bei Enrico Lübbes Theaterfilm „Widerstand“ von Lukas Rietzschel dabei. Wie kam es zu dieser Idee?

Annett Sawallisch Auch hier begannen wir zunächst mit der Arbeit an einer Bühnenaufführung. Doch niemand konnte vorhersagen, ob diese auch stattfinden würde. Die Filmversion war als Alternative gedacht, nur für den Fall, dass wir nicht live spielen können. Irgendwann war das dann aber leider klar, und wir konzentrierten uns auf den Film. Daraus entwickelte sich wieder eine ganz eigene Form. Wie viel Theater verträgt der Film? Wie viel Künstlichkeit? Wie viel Form? Auch das war eine tolle Erfahrung, sehr intensiv, in einem kleinen, hoch konzentrierten Team. Ich finde, es ist uns da ein sehr schöner Hybrid gelungen, der auch auf der Kinoleinwand bestehen kann, wie wir bei der Premiere selber erfahren durften. Wir waren unser eigenes Publikum im dunklen Saal, niemand außer uns war da. Während der Film als Stream im Netz lief; wurde er für uns auf die große Bühne projiziert. Das war toll, aber auch merkwürdig. Ich war aufgeregt wie zu einer Theaterpremiere, musste aber nicht spielen.

Zu sehen ist ein Aufführungsfoto von „Süßer Vogel Jugend“ am Schauspiel Leipzig mit Annett Sawallisch. Im Vordergrund ist ein Scheinwerfer zu sehen. Die Bühne ist in lilafarbenes Licht getaucht. Mehrere Menschen mit Cowboyhüten sitzen in Gruppen auf der Bühne.

„Süßer Vogel Jugend“ am Schauspiel Leipzig. Die Inszenierung konnte 2020 beim Theatertreffen nur im Stream gezeigt werden. Annett Sawallisch agierte in der Rolle der Tante Nonnie.

DIE DEUTSCHE BÜHNE Du warst mit Claudia Bauers Inszenierung „Süßer Vogel Jugend“ zum Theatertreffen 2020 eingeladen. Auch das musste virtuell stattfinden.

Annett Sawallisch Es war natürlich schade, dass wir nicht nach Berlin fahren konnten. Ein Theatertreffen, ohne sich zu treffen, war ein bisschen traurig.

DIE DEUTSCHE BÜHNE Hast du dir den Stream überhaupt angeschaut?

Annett Sawallisch Klar. Und leider habe ich auch eine Zeit lang die ungefilterten Livekommentare mitgelesen. Das ist auch ein Aspekt des Interaktiven. Jeder kann in Echtzeit seine Meinung rausposaunen, Ohne sein Gegenüber zu sehen und mitzukriegen, was er oder sie damit auslöst. Da gibt es keine Hemmschwelle mehr, ganz im Gegensatz zu Publikumsgesprächen nach einer Vorstellung.

DIE DEUTSCHE BÜHNE Inzwischen hat der Spielbetrieb wieder Fahrt aufgenommen. Was bleibt nun von dieser Zeit?

Annett Sawallisch Ich liebe und schätze das Theater noch viel mehr als vorher. Echte Begegnungen sind durch nichts zu ersetzen, ob auf der Bühne oder im Zuschauerraum. Theater besteht nun mal aus gemeinsamen Erlebnissen, zur gleichen Zeit, am gleichen Ort.

DIE DEUTSCHE BÜHNE Kommt das Publikum denn wieder?

Annett Sawallisch Ja. Immer mehr. Aber wir sind noch lange nicht wieder auf dem Stand von vor der Pandemie.

Zu sehen ist ein Porträtfoto von Annett Sawallisch, Schauspielerin am Schauspiel Leipzig.

Annett Sawallisch, Schauspielerin am Schauspiel Leipzig. Foto: Annette Hauschild/Ostkreuz

DIE DEUTSCHE BÜHNE Und das Digitale? Bleibt gar nichts davon übrig?

Annett Sawallisch Jetzt haben wir natürlich alle ein bisschen die Schnauze voll davon. Aber ich bin mir sicher, dass einzelne Elemente im Theater ihren festen Platz finden werden. Als digitales Angebot ergänzend zum Spielbetrieb. Vielleicht interaktive Formen. Oder auch für eine höhere Reichweite. Schön wäre, wenn ich auch in Zukunft mal wieder meine Freundin in Georgien zu einer meiner Vorstellungen einladen kann.

ANNETT SAWALLISCH, geboren 1978 in Berlin, Studium an der Hochschule für Musik und Theater Rostock. 2001 Engagement an den Freien Kammerspielen Magdeburg, 2007 Wechsel an das Theater Chemnitz. Seit August 2013 Ensemblemitglied am Schauspiel Leipzig.

FELX BENESCH, der das Gespräch mit Annett Sawallisch führte, ist Drehbuchautor und in seiner Heimat Schweiz Theaterregisseur. Er lebt in Leipzig.

Dieser Artikel ist erschienen in Heft Nr. 7/2022.