Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Gabriel Fauré: Pénélope

Theater:Bayerische Staatsoper, Premiere:18.07.2025Regie:Andrea BrethMusikalische Leitung:Susanna Mälkki

Gabriel Faurés Oper „Pénélope“ an der Bayerischen Staatsoper spielt in Andrea Breths Inszenierung mehr mit Denk- und Assoziationsräume anstatt klassischer Aktion. Trotz einer fast ganz leeren Bühne wirkt die Inszenierung nicht nur metaphorisch, sondern auch real.

Zu ihren alljährlichen Opernfestspielen fährt die Bayerische Staatsoper in Münchner alles auf, was sie im Repertoire (und an Stars) zu bieten hat. Inklusive zweier Premieren. So wie Serge Dorny mit der Auswahl von David Hermann als „Don Giovanni“ – Regisseur zum Auftakt eher einem szenischen Problemfall auf die Bühne verhalt, so hatte er mit Andrea Breth für die zweite Premiere im Prinzregententheater Glück. Die Meisterin der Präzision und Freundin gedämpfter Grautöne sowie karger Räume hat Gabriel Faurés (1845-1924) einzige Oper „Pénélope“ zu einem szenischen Ereignis gemacht.

Bei ihr gibt es natürlich kein turbulent blutiges Gemetzel, wenn der nach zwanzig Jahren Kriegsteilnahme und anschließender Irrfahrt zunächst als Bettler verkleidet heimkehrende Hausherr sein Inkognito lüftet und die fünf lästig parasitären Freier niedermetzelt. Das nicht. Das exzeptionell Berührende der Geschichte um Odysseus und seine unverdrossen treue und alle Avancen listig abwehrende Frau Pénélope kommt bei ihr auf ganz anderem Wege zu Hirn und Herzen der Zuschauer. Zumindest, wenn sie bereit sind, sich darauf einzulassen.

Verlorene Zeit und Assoziationen

Was Breth bei ihrer Suche nach der verlorenen Zeit bietet, ist nicht Aktion im klassischen Sinne, sondern es sind Denk- und Assoziationsräume. Man sieht, was man hört. Oder besser noch, was die Akteure auf der Bühne hinter dem ersten Anschein zu sehen meinen. Die Amme etwa, die ihren Herrn als erste an der Narbe, die er von Kindheit an hat, erkennt, sieht dann, wie wir im Saal, den jungen Odysseus von damals auf der Bühne. Odysseus hat noch einen weiteren nur imaginierten Doppelgänger, der halt zwanzig Jahre jünger daherkommt als der reale Heimkehrer mit dem grauen Bart. Es ist ein faszinierendes Spiel, was die Regisseurin hier nicht treibt, sondern oft in Zeitlupenbewegungen geradezu zelebriert. Auch beim Finale, das im Orchester noch einmal alles an Pathos aufleuchten lässt, um die Wiederbegegnung des Paares zu feiern, erstarrt die Szene geradezu in einer langsamen Annäherung der Hände von beiden. Man kann nur ahnen, was da noch kommen mag. Wenn der Vorhang am Ende sinkt, bleibt das wie eine Aufforderung zum Weiterdenken im Raum.

Das Schlachthaus bei der Inszenierung der Oper „Pénélope“ an der Bayerischen Staatsoper. Foto: Bernd Uhlig

Diese Denkräume sind nicht nur metaphorisch, sondern auch ganz real auf der Bühne von Raimund Orfeo Voigt. Zunächst sieht man auf der leergeräumten Bühne nur ein paar griechische Helden-Torsi. Zwischen ihnen schlendert Odysseus langsam wie in einem Museum seiner Erinnerungen, während eine alte Frau im Rollstuhl ganz langsam vorbeigeschoben wird. Sorge, ja Angst um seine verlassene Frau werden hier zum Bild. Und die dann durchdeklinierte Methode des Abends quasi eingeführt.

Leichentuch und Schlachthaus

Nach diesem Entree ziehen meistens diese Denk- und realen Räume auf der Bühne an uns vorüber. So wie die Zeit und die Erinnerungen, die bleiben. Man sieht die Mägde des Hauses wie zu einem Berg Lumpen gehäuft. Pénélope mit dem berühmten Leichentuch, das sie immer wieder auftrennt. Die großmäuligen Freier. Ein Schlachthaus mit baumelnden Tierhälften und freien Haken für die Freier. Auch hier die szenische Vorwegnahme: sie hängen schon dort, während sie noch die Königin zu einem Ja-Wort für einen von ihnen bringen wollen. Einen hübschen, stark bejubelter Gag gönnt sich Breth: um die Leichtigkeit zu demonstrieren, mit der es Odysseus als einzigem gelingt, seinen Bogen zu spannen, nimmt eine kopfstehende Akrobatin den Bogen und einen Pfeil mit den Füßen auf, schießt und trifft.

Diese Art des sich entfaltenden szenischen Denkens, das gleichsam nach Innen, in die Vergangenheit oder eine erwünschte Zukunft blickt, lässt Faurés Musik genau den Raum, um sich zu entfalten. Hier übertreffen sich die finnische Dirigentin Susanna Mälkki und das Bayerische Staatsorchester selbst. Es mag auch daran liegen, dass das Prinzregententheater das einzige Haus ist, das vom Festspielhaus in Bayreuth inspiriert ist. Mälkki jedenfalls führt das Orchesters in eine geradezu parsifaleske Prachtentfaltung, lässt es doch entschieden französisch klingen. Man kann das sicher auch ganz anders inszenieren, um ihm beizukommen. Anders musizieren sollte man es nicht, wenn man ein Plädoyer für das Werk und Überwältigung im Sinn hat.

Dazu kommt die exzellente Besetzung. Allen voran imponiert Victoria Karkacheva als Pénélope mit ihrem gefühlvollen Mezzo. Bei Brandon Jovanovich ist Ulysse ein eindrucksvoller Heimkehrer zwischen Melancholie und rächender Entschlossenheit. Auch allen anderen Protagonisten verbreiten vokalen Festspielglanz. Der Jubel am Ende, wurde von offenen Fragen bei manchem Zuschauer jedenfalls nicht getrübt.