Foto: Lea Wößner blickt von der Leinwand direkt ins Publikum. © Konrad Fersterer/Staatstheater Nürnberg
Text:Florian Welle, am 18. Mai 2025
Am Staatstheater Nürnberg inszeniert Boris Nikitin mit Laien seinen Live-Film „Mixtape oder Die unzerbrechliche Gemeinschaft der freien Republiken“. Darin geht er der Frage nach, was es für die Generation Z heißt, erwachsen zu werden. Während die Darsteller und Darstellerinnen mit ihrer Spiellust brillieren, bleibt Nikitins Textvorlage selbst zu vage, um eine überzeugende Antwort auf die Ausgangsfrage zu finden.
Nur kurz steht Lea Wößner auf der Bühne des Schauspielhauses und blickt in eine Kamera. Dann verlässt sie flinken Schritts die Spielstätte und das Haus. Biegt nach rechts und nach links ab, bis sie in Richtung Plärrer läuft, einer der wirbeligsten Verkehrsknotenpunkte Nürnbergs. Immer gefolgt von Ina Diallo und Rio Theis, die die Darstellerin mit der Handkamera begleiten. Die Bilder streamen sie live ins Schauspielhaus, wo das Publikum vor einer Großleinwand sitzt. Nach und nach gesellen sich zu Wößner noch sechs weitere in schwarz gekleidete Spieler und Spielerinnen hinzu. Gemeinsam durchstreift man die Stadt, fährt U-Bahn, fläzt in einer Wohnung herum. Dabei hält jeder abwechselnd sein Gesicht in die Kamera und erzählt von seinen Ängsten, Nöten, Schicksalsschlägen. Monologe ohne Pause, drei Stunden lang. Wenn die Truppe schließlich ins Theater zurückkehrt, um auf der Bühne einen letzten Wut-Schrei von sich zu geben, ist es elf Uhr nachts.
Theater to go
„Mixtape oder Die unzerbrechliche Gemeinschaft der freien Republiken“ nennt sich Boris Nikitins dritte Inszenierung für das Nürnberger Staatstheater. Mit ihr möchte er ausloten, wie es sich im Jahr 2025 anfühlt, erwachsen zu werden. Alle Mitwirkenden sind nach der Jahrtausendwende geboren und gehören damit der Generation Z an. Bis auf die Schauspielerin Claudia Gyasi Nimako handelt es sich bei ihnen um Laien, die in der vorangegangen Spielzeit erste Theatererfahrungen sammelten. Damals brachten sie sehr frech, sehr persönlich, kurz: sehr toll „Romeo und Julia“ auf die Bühne. Bei Nikitins „Mixtape“ handelt es sich hingegen weder um ein klassisches Stück noch um eine Performance, sondern um einen sogenannten Live-Film. Ein Konzept, das Nikitin zuvor schon gemeinsam mit Sebastian Nübling in Basel und Berlin unter dem Titel „Dämonen“ erprobt hatte. Das könnte aber auch der Grund sein, weshalb „Mixtape“ zu Nürnberg und seiner wechselvollen, von tödlich-braunen Flecken beschmutzten Geschichte bis auf wenige Anspielungen nichts zu sagen weiß. Die Frankenmetropole dient dem 1979 geborenen Schweizer vor allem als Kulisse, die letztlich austauschbar ist.
Spiel mit Authentizität
Boris Nikitin ist ein Grenzgänger. Seine Arbeiten fragen, wie sich Privates und Öffentliches zueinander verhalten? Wo die Wirklichkeit aufhört und die Fiktion beginnt? Fragen, die durch den Eintritt ins postfaktische Zeitalter dringlicher denn je sind. „Mixtape“ scheint auf Spontaneität zu setzen, ist aber aufs Genaueste durchchoreografiert. Wo die Spieler und Spielerinnen entlanggehen, ist ebenso festgelegt wie die Texte, die sie sprechen. Diese handeln zunächst von scheinbar autobiografischen Erlebnissen. Was sich authentisch anhört, wurde jedoch von Nikitin verfasst. Dabei geht es maximal dramatisch zu. Da stirbt die Mutter einer Darstellerin angeblich an einer Nervenkrankheit, verunglückt der Freund eines Darstellers vermeintlich bei einem Verkehrsunfall tödlich, sollte ein anderer gar nicht erst auf der Welt sein, weil ihn die Mutter eigentlich abtreiben wollte.
Ganz normale Krisen
Folgt irgendetwas aus diesen fingierten Dramen? Nein! Sie werden einem vor den Latz geknallt, dann geht es weiter. Jede Geschichte bleibt so Behauptung und läuft ins Leere. Genauso wie der Großteil der sich daran anschließenden Monologe, in denen die Darstellenden nur noch eine Gefühlslage ausbreiten. Sie sind zornig und verzweifelt, fühlen sich überfordert und fremd in dieser Welt. Man hört Sätze wie: „Wir sind irre müde“ und „Realität, ich scheiß auf die Realität.“ Was aber unterscheidet die Generation Z dann überhaupt von früheren Generationen?
Das, was Nikitin zu sagen weiß, hat schon alle Heranwachsenden zu allen Zeiten umgetrieben. Gerne hätte man vor dem Hintergrund unserer disruptiven Zeit dazu Konkretes erfahren, vor allem aus den Mündern von so energiegeladenen Laien wie es Malek Aldirani, Senta Beck, Stefanos Karamperis-Gatsias, Lilian Popp, Lea Wößner, Claudia Gyasi Nimako und Giosuè Zappalà sind. Ihrer Spielfreude ist es zu verdanken, dass man trotz Längen, Redundanzen und Allgemeinplätzen bis zum Schluss bei der Stange bleibt.