Foto: „Collateral Damage“ © Ivan Kravtsov
Text:Martina Jacobi, am 9. Mai 2025
Yael Ronen inszeniert ihr neues Stück „Collateral Damage“ am Schauspiel Köln als komödiantische Dystopie über vier Geschwister, deren Erbe sie vor existenzielle Fragen stellt. Ein rauschendes Stück über Gewissenskonflikte und familiäre Bande.
„Es ist ein schrecklicher Abend“, beginnt Schauspieler Yuri Englert vor dem Vorhang Yael Ronens neues Stück „Collateral Damage“ im Depot 1 des Schauspiels Köln. Eigentlich könne man ja auch gerade irgendwo auf einer Demonstration sein, sich für etwas einsetzen, oder vielleicht das Tesla-Werk von nebenan anzünden. Denn irgendwo anders an diesem fast schon lauen Kölner Abend ist die Welt gerade viel sichtbarer und ganz gewaltig aus den Fugen geraten.
Englert spricht als oder nach Hans Blumenberg, dem Philosophen und Autor der Untersuchung „Schiffbruch mit Zuschauer“: Manche befinden sich auf hoher See mit dem Risiko auf Leben oder Tod. Andere sind am sicheren Ufer, beobachten von dort aus das Geschehen. Diese Schiffsbruch-Metaphorik bringt Ronen in ihrem Stück auf eine familiäre und private Ebene: Vier Geschwister versammeln sich in der alten Familienvilla am Sterbebett des Vaters. Welches Erbe erwartet die verstrickten Schicksale und wie werden sie mit der Verantwortung umgehen? Denn es stellt sich heraus: Das Erbe der Geschwister ist ein durch Geldwäsche vom russichen Oligarchen und Anführer der Wagner-Gruppe Yevgeny Prigozhin erworbenes Gemälde Francisco de Goyas.
Belastende Familienbande
Die belasteten Familienbande und unterschiedlichen Lebensrealitäten der Geschwister treffen in Wolfgang Menardis mehrstöckigen Schiffsdeckgebilde auf der Bühne aufeinander. Das Zimmer des Vaters, der nie selbst auftritt, ist ganz oben. Auf dem Weg dorthin gibt es Treppenhindernisse, eine schöne Aussicht von der Reling, aber auch eine Planke zum Springen – ein passender Spielraum zur Verhandlung von Gewissenskonflikten.
Ronens Stück zieht geradeheraus in seine dystopische Wucht und fordert das Publikum, an der inhaltlichen Mehrschichtigkeit dranzubleiben. Im Verlauf eröffnet sich mehr Raum für eine Entwicklung der Beziehungen der vier so unterschiedlichen Geschwister. Englert ist der legere Kunsthistoriker und Goya-Fanatiker Edi und Nikolaus Benda der berechnende Businessmann Manu. Fred, gespielt von Kelvin Kilonzo, verarbeitet als artsy Tanzkünstler sein Familientrauma auf dem künstlerischen Weg und Uma, dargestellt von Orit Nahamias, kämpft als Ergebnis einer Affäre überhaupt noch um Anerkennung in der Familie. Der das schließlich millionenschwere Bild besorgende Mafiosi Francesco wird von Sinan Güleç als völlig überzogener, aber witziger Charakter gespielt.
Komödiantische Dystopie
Die düsteren Bildwelten de Goyas rahmen die Inszenierung. Vor allem das Werk, auf dem Saturn seine Kinder verschlingt. Auf zwei halbrunden Leinwänden hinter Menardis Schiffs-Villa erscheint das Gemälde stark herangezoomt oder verzerrt, es wirkt mit aufgerissenem Mund und Augen in verschiedenen Ansichten wie ein stummer das Bühnengeschehen begleitender Chor. Und gleichzeitig erinnert das an die elitäre Kunstdebatte und einen Geldwäsche-Apparat dahinter. Zur zusätzlichen Projektion wirbelnder und verschlingender Wassermassen kreist die Bühnenkonstruktion wie im Wasserstrudel immer wieder um sich selbst.
Ronen verarbeitet den Trugschluss der Existenz eines guten Menschen in ihrer auch sehr komödiantisch angelegten Dystopie. Der Blick auf eine von Krisen beherrschte Welt wird zwischen Familienquerelen, persönlichen und moralischen Diskussionen im Text angedeutet, aber vielmehr durch Symbol- und Bildsprache vermittelt. Wenn man sich auf die absurden Gleichzeitigkeiten in dieser Welt einlässt, ist Ronens Stück ein unterhaltsamer Abend, aus dem man dennoch nachdenklich hinausgeht.