Foto: Andrii Chakov (Ken), Inga Lisa Lehr (Mary), Minseok Kim (Abe) © Harald Dietz
Text:Roland H. Dippel, am 3. Mai 2025
Bei Lothar Krauses Inszenierung von „The Brothers“ und „Der jüngste Tag ist jetzt“ am Theater Hof übertüncht stille Musik die psychische und physische Gewalt. Die Oper von George Antheil und das szenische Requiem von Johannes Harneit spielen zwischen Trümmerlandschaft und Kriegsfriedhof und erzählen von unterschiedlichen Arten von Kriegsopfern.
Intendant Lothar Krause setzt mit der Kain-und-Abel-Paraphrase „The Brothers“ des Amerikaner George Antheil (1954) und dem folgenden Oratorium „Der jüngste Tag ist jetzt“ von Johannes Harneit (2003) ein aufregendes Antikriegsmemorandum zum 80. Jahrestag nach Ende des Zweiten Weltkriegs – ohne direkte Darstellung von Krieg. Der Einsatz aller Musiktheater-Kräfte für Harneits Opus ist immens und fordert wie „The Brothers“ zu nachdrücklich bewegtem Applaus heraus.
Eine Raumbühne ist relativ neu im Theater Hof. Instrumental- und Stimmklang entfalten sich dort mit opulenter Klarheit, wenn 13 bzw. 16 Spieler:innen der Hofer Symphoniker auf dem hochgefahrenen Graben vor dem Portal spielen. Der Chor zischt, skandiert, ächzt, raunt in Johannes Harneits sprödem hier szenisch aufgeführtem Oratorium und kommt dann mit verschmutzten Textilien aus dem Parkett auf die von drei Publikumsblöcken eingerahmte Spielfläche. Ihm (vorbildlich umsichtige Leiung: Ruben Hawer) wird einiges abverlangt, den Solopartien auch. Aylin Kaip setzt für „The Brothers“ ein Giebeldach-Hausgerüst ohne Wände auf die Drehscheibe. Dort ist alles erst blitzblank, weicht nach der Pause einem vom Krieg zerstörten Raum mit weißen Kreuzen und beschädigten, melancholischen Relikten früherer Behaglichkeit. Die Requisiten (Kathrin Oertel) erhalten bei aller szenischen Drastik eine maßvolle und deshalb bewegende Zeichenkraft.
Massenspiel und Trümmerlandschaft
Erst richtet sich im tödlich endenden Kammerspiel die menschliche Zerstörungswut auch gegen schlichten Hausrat. Später sieht man zum Massenspiel eine in realistischer Detailfreude gestaltete Trümmerlandschaft mit Kriegsfriedhof. Stefanie Rhaue als Frau, Markus Gruber als Zivilist, Michal Rudziński als Soldat und Annina Olivia Battaglia als ‚flüchtende‘ Stimme verkörpern in „Der jüngste Tag ist jetzt“ zutiefst eindringlich vier paradigmatische Personenmuster von Kriegsopfern. Neben den die Kriegssituationen umkreisenden Libretto von Xavier Zuber überglitzert ein wissenschaftlicher Beitrag des Physikers Markus Pössel mit noch mehr und deshalb unnötig kunstgewerblicher Bedeutungstiefe. Diese Betroffenheitsrhetorik wird durch die Inszenierung unbeabsichtigt, aber grundehrlich demaskiert. Es ist Verdienst der dramaturgisch bestechenden Werkkombination, dass sie die gespreizte Gestik von Harneits Musik in sinnliche Leiderfahrung umzumünzen vermag. Die Mitwirkenden schaffen es, diese mit maßvollen und deshalb ehrlichen Affekten zu füllen. Peter Kattermann leistet am Pult eine immense Zähl- und Koordinationsleistung, welche ihm das Publikum mit riesigem Applaus dankt.

Das Ensemble bei der Inszenierung von „The Brothers“ und „Der jüngste Tag ist jetzt“. Foto: Harald Dietz
Höhepunkt der Premiere war trotzdem Antheils 55-minütiger Katastrophenreport aus einer der alttestamentlichen Addams Family nachempfundenen Dreiecksgeschichte – mit Knallschuss-Triggerwarnung. Dass da zwei Ex-Soldaten (Markus Gruber und Michal Rudziński in grotesken, aber undankbaren Episodenpartien) kurz vor der tödlich endenden Affäre den als Mann eh schon zutiefst gedemütigten Ken noch zwielichtiger machen, bleibt peripher. Die Dreiecksgeschichte um die blinde, in ihren Reden zu oft Entscheidendes verschweigende Mary, geht zutiefst unter die Haut. Erst gab sie dem als Soldat in den Krieg geschickten Ken mit einem Abschiedsbrief den Laufpass, dann heiratete sie dessen von den Eltern begünstigten Bruder Abe. Das mit stillen Mitteln desto perfider hochschaukelnde Kammerspiel im trautem Eigenheim beginnt.
Theatrale Proportionen, weiche Klänge und ideale Besetzung
Inga Lisa Lehr spielt Mary mit lyrisch eindringlicher Sopran-Emphase und weißen Pupillenfiltern, also ohne etwas auf der Bühne zu sehen. Dazu übertüncht Antheils Musik psychische und physische Gewalt mit weichen Klanggebilden und Melodien. Wie in „Der jüngste Tag ist jetzt“ gelingt die theatrale Proportion von Nähe, Genauigkeit und subtilen Bewegungen perfekt. Für die rivalisierenden Brüder hat das Theater Hof ebenfalls ideale Besetzungen. Der Tenor Minseok Kim und der Bariton Andrii Chakov reizen den Tennessee-Williams-Groove der Handlung spielfreudig, mit satter Vokalität und auch mit physischer Energie aus. Suggestiv dosieren sie Power und sensible Reaktionsschärfe für die Hitzequellen unter Antheils stillem Musikfluss.