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Im Sog der Musik

Bernhard Lang: Der Golem

Theater:Nationaltheater Mannheim, Premiere:16.04.2016 (UA)Regie:Peter MissottenMusikalische Leitung:Joseph Trafton

Der eine Nackte kriecht aus dem Souffleurkasten. Die anderen beiden Männer, die ebenfalls nur eine kegelförmige Kapuze über dem Kopf tragen, erscheinen aus dem Hintergrund. Den ganzen Abend sind die drei Performer in der Inszenierung von Peter Missotten präsent und wandeln durch den Raum. Sie stehen wie auch die Videosequenzen von Missotten, die auf das Bühnenbild projiziert werden, für eine zweite Ebene, die rational nicht zu ergründen ist. 

Bernhard Langs neue Oper „Der Golem“, die nun am Nationaltheater Mannheim uraufgeführt wurde, ist ein 80-minütiges Rätsel, dessen Dechiffrierung kaum möglich ist. Der große theoretische Überbau der Oper, die Gustav Meyrinks 1915 erschienenen gleichnamigen Roman zur Grundlage hat, ist nicht zu durchdringen. Die Grenzen zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein verschwimmen. Aber es geht den Opernmachern auch nicht darum, eine stringente Geschichte zu erzählen, sondern sie beschäftigen sich assoziativ mit Themen wie Identität und Spiegelung, künstliche Intelligenz und Reinkarnation. Man kann sich einfach treiben lassen in diesem vor allem musikalisch reichen Musiktheaterabend. Die Musik von Bernhard Lang entwickelt in ihrer starken Rhythmik und den vielen Wiederholungen auf kleinstem Raum Sogwirkung. Sie hält den mäandernden Abend zusammen. Und berührt auch emotional in ihrer Mischung aus Einfachheit und Komplexität, aus Vertrautem und Verfremdetem, aus lyrischen Inseln und motorischen Energiefeldern, die eine große Dynamik entfalten. 

Die Golem-Legende handelt von einem künstlichen Menschen, den einst ein Rabbi aus Lehm erschaffen hat und der ein Eigenleben gewinnt. In Meyrinks phantastischem Roman ist der Golem, der alle 33 Jahre in Prag erscheint, eine Art Doppelgänger des Menschen. Die Begegnung mit ihm lässt das Leben des jüdischen Juweliers Athanasius Pernath aus den Fugen geraten. Er verliebt sich, landet wegen Mordverdacht im Gefängnis, leidet an Wahnvorstellungen. Und weiß am Ende gar nicht, ob er das alles wirklich erlebt hat. Regisseur Peter Missotten und Bernhard Lang beschränken sich auf einzelne Szenen und Figuren des Romans (Kostüme: Lotte Milder). Fast alle Solisten verkörpern mehrere Rollen, was die Identitätsbrechungen auch musikalisch thematisiert. Nur Marie- Belle Sandis als Mirjam und Raymond Ayers, der mit seinem flexiblen, weichen Bariton der Hauptfigur Athanasius Pernath Profil verleiht, verkörpern nur eine Rolle. Auch die Traumebene des Romans spiegelt sich in der Musik. Sie entwickelt ihre eigene Logik, ist sprunghaft und stilistisch extrem vielfältig. Wie eine Nadel auf einem Plattenspieler bleibt eine musikalische Figur hängen, dreht ein paar Schleifen und springt dann in die nächste Rille. Langs Verwurzelung in der DJ-Kultur ist hier zu spüren. Die Gliederung des Musiktheaters in 22 etwa vierminütige Kapitel entnimmt der Komponist dem im Roman Bedeutung tragenden Tarot-Spiel, das 22 Trümpfe hat. Zwischen diesen einzelnen Szenen, die jeweils eine ganze eigene musikalische Charakteristik haben, gibt es scharfe Schnitte oder auch raffinierte Überleitungen. In seiner Oper „Montezuma – Fallender Adler“, die 2010 ebenfalls in Mannheim uraufgeführt wurde, arbeitete der österreichische Komponist mit einen kleineren Instrumentalensemble und Elektronik. „Der Golem“ ist nun sein erstes musiktheatralisches Werk, das seine auf mechanische Präzision getrimmte Musik einem groß besetzten Symphonieorchester anvertraut. Joseph Trafton dirigiert diese häufig aus ungeraden Takten bestehenden Loops und komplexen Rhythmen so selbstverständlich, als hätte er nie etwas anderes getan. Auch das Orchester des Nationaltheaters Mannheim groovt sich ohne Reibungsverluste ein in diese musikalische Welt der Patterns, Wiederholungen und feinen 

Klangdifferenzierungen. Die sieben Schlagzeuger leisten Präzisionsarbeit. Es ist der ständig variierte Rhythmus, der diesem schillernden Abend Struktur gibt. Aber Lang ist Theaterpraktiker genug, um auch mit einem ganz tonalen Violinsolo oder einem Bachchoral Halte- und Orientierungspunkte zu schaffen. Es gibt Klezmeranklänge und Allusionen von Wiener Kaffeehausmusik. Der seitlich auf einer Tribüne postierte Chor, der im Sopran nicht immer die erforderliche Höhe erreicht, ist mit Sprechpassagen und rhythmisch aufgesplitteten Akkorden ein steter Begleiter. So entsteht eine ungemein farbige, sinnliche Partitur, die immer transparent bleibt und ein optimales Textverständnis ermöglicht. Im ausgezeichneten Solistenensemble gebührt dem zwischen Kopfregister und Bruststimme spielend wechselnden Altus Alin Deleanu, der als Charousek/Wassertrum höchste Präsenz entfaltet, die Krone. Aber auch Astrid Keller (Angelina/Kellnerin) mit ihrem vielschichtigen Sopran, Raphael Wittmer (Zwack/Wenzel/Schaffranek) mit seinem hellen, ganz leichten Tenor und der Bariton Steven Scheschareg (Hillel/Double Athansius Pernath) setzen musikalische Akzente. Die Solisten haben großen Anteil daran, dass man sich einlassen kann auf diesen faszinierenden Abend, der trotz seiner Komplexität eine Leichtigkeit entfaltet, die man im zeitgenössischen Musiktheater nur selten findet.