Familienrat: Christoph Förster, Uwe Steinbruch und Christina Weiser in "Brüssel brennt, sorry!".

Arg viel

Katja Hensel: Brüssel brennt, sorry

Theater:Staatstheater Kassel, Premiere:01.02.2013 (UA)Regie:Martin Süß

Der Vorankündigungstext klang viel versprechend. Dora, die Tochter eines dementen Vaters und Mutter eines nicht leicht erziehbaren Jungen, wird zwischen privaten Aufgaben in Deutschland und beruflichen Zielen als Tierschutzlobbyistin bei der Brüsseler Bürokratie aufgerieben. Aber offenbar hat Katja Hensels „Brüssel brennt, sorry“ zu viel auf der Agenda: Brüsseler Eurokratie, Lobbyismus, Selbstbetrug bei ökologischen Weltverbesserern, soziale Spannungen bis hin zum Brüsseler Bauernaufstand, Generationenkonflikte, überambitionierte Frauen und desorientierte Demente – um nur einige zentrale Themen des Stückes aufzuzählen. Dazu kommt noch, dass der Vater Märchen und Realität vermengt und auch der Sohn ein Geschichtenerzähler ist. Das Stück ist inhaltlich und dramaturgisch mit drei Personen im Studiobühnenformat massiv überfrachtet. So verpuffen die Gespräche Doras mit ihrem Mitstreiter für „Pro Vieh“ als ziellose Einweg-Monologe. Letztlich bleibt unklar, ob Dora überhaupt die Hauptfigur ist, der dramaturgische Sinn der wundersamen Kaffeemaschine in ihrer Wohnung bliebt ebenso kryptisch wie das gesamte Stück.

In der Uraufführung auf der Studiobühne (TiF) des Staatstheaters Kassel haben es die unmöglichen Männer, Uwe Steinbruch als anfangs gar nicht so debiler Vater und Christoph Förster als cleverer, verlorener Sohn Jakob, leichter ein Profil zu entwickeln als Christina Weiser in der Rolle der stilvoll-überforderten Dora. Timo von Kriegsteins Bühne aus einem Dutzend Holzsäulen markiert ein Nirgendwo, in Anlehnung an Jakobs Lieblingsetablissement mit Namen „Wald“. In Martin Süß’ Regie schlagen sich die drei Darsteller wacker, haben aber eine ziemlich unlösbare Aufgabe in dem Textdickicht aus Privatem und Politik beziehungsweise Politikverdrossenheit. Gegen Ende hin ist die Tochter vom Vater tödlich erlöst und der zunehmend demente Sohn erklärt Bratislava zur neuen europäischen Hauptstadt; er hat sich in eine junge Slowakin verliebt: Somit kommen nun Privates und Europäisches zusammen, irgendwie, ziemlich wirr.