Szene aus Meyerbeers "Margherita d'Anjou"

Zwischen romantisch und komisch

Giacomo Meyerbeer: Margherita d'Anjou

Theater:Festival della Valle d’Itria, Premiere:29.07.2017Regie:Alessandro TaleviMusikalische Leitung:Fabio Luisi

Alessandro Talevi inszeniert Meyerbeers „Margherita d’Anjou“ beim Festival della Valle d’Itria in Italien.

„Margherita d`Anjou” ist ein Werk des „Nicht mehr und Noch nicht“, denn diese vierte in Italien komponierte, für die Karnevalssaison 1890/20 der Mailänder Scala geschriebene Oper, ist zwar noch ganz dem Vorbild der italienische Sängeroper aus dem Geist Rossinis verpflichtet, überrascht aber doch mit bis dato ungehörter Klangdramaturgie, neuartigen Groß­szenen, phantasievollen Ariengestaltungen, subtilen romantisch idylli­schen wie pittoresken Situationen, prächtigen Ensembles und Genrechören, aber auch mit einer integrierten komischen Figur (der des Michele), die immer wieder humoristische Kontrapunkte setzt und die Gattungsbezeich­nung „Melodramma semiserio“ recht­fertigt.

Dass das Festival Valle d´Itria diese zweiaktige, hierzulande in den letzten hundert­fünfzig Jahren kaum mehr gespielte, gegenüber den französischen Werken Meyerbeers ins Hinter­treffen geratene Oper ausgegraben hat, ist mutig und ehrenvoll, doch leider nur ein halber Sieg in Sachen Meyerbeer. Schon die Inszenierung von Alessandro Talevi geht eigentlich am Werk vorbei, indem sie das Stück als punkige Moden­schau backstage und am Filmset vor einem Birkenwäldchen im barocken Palastinnenhof von Martina Franca gibt, plakativ, mit schrillen Kostümen von Madelaine Boyd, von Giuseppe Calabrò discomäßig beleuchtet. Betont unterhaltsamer Aktionismus ist angesagt. Show- und Revueanleihen sind gewollt. Das Theater des voyeuristischen Anziehens, Ausziehens, Kleiderwechselns, Posierens und Tanzens (Choreo­graphie: Riccardo Olivier) verbraucht sich schnell und langweilt in seiner Beliebigkeit und Vorhersehbarkeit. Geradezu grotesk ist die zum Frottéspaß verulkte Bauerngenreszene.  

In der auf einem „mélodrame historique“ des von Meyerbeer ge­schätz­ten René-Charles Guilbert de Pixérécourt basierenden, von Felice Romani zum Libretto umgearbeiteten Oper geht es eigentlich um einen historischen Privat­konflikt Margheritas, der Witwe des von seinen Gegnern grausam zu Tode gebrachten Hein­richs VI. den sie mit Hilfe des Herzogs von Lava­renne, ihres Geliebten, zu rächen sucht. Da Lavarenne jedoch verheiratet ist und die Soldates­ka des feindlichen Herzogs von Glocester weder tatenlos, noch zimperlich ist, nimmt das Un­glück seinen Lauf. Als Bäuerin verkleidet, wird die Königin in einer einsamen Hütte ver­steckt. In höchster Gefahr wendet sich jedoch das Blatt durch die Rettungstat der Lavarenne in Männerkleidung heimlich nachgefolgten, betrogenen Gattin Isaura, die Lavarennes Liebe zurückgewinnt und mit ihrem Gatten Glocesters Truppen schlägt. Die Königin siegt zwar, verzichtet aber als Frau auf die Liebe Lavarennes und geht leer aus.

Sängerisch kann man in Martina Franca die Oper mit einer internationalen Sängerequipe eindrucksvoll besetzen. Die erst 30-jährige römische dramatische Koloratursopranistin Giulia de Blasis singt die Titelpartie ihrem dunkel timbrierten, höhensicheren Sopran virtuos, darstellerisch darf die Bella ganz Dame sein. Ihre Paradearie „Dolce albergo di pace“ (mit obligater Violine) wird zum Höhepunkt der Vorstellung. Aber auch der russische Tenor Anton Rositskiy ist in der Partie des Duca di Lavarenne (obwohl er als Parodie eines blödelnden, blonden Popstars aufzutreten hat) einfach fabelhaft. Er wirft nur so mit hohen Cs um sich. Mit samtiger, geläufiger Gurgel singt die junge, aus Macerata stammende Mezzoso­pranistin Gaia Petrone die Hosenrolle der Isaura. Der großgewachsene deutsche Bass Bastian Thomas Kohl singt den Riccardo, Duca die Glocester eindrucksvoll, mit schwarzer Stimme, roter Irokesenfrisur und im Schottenrock. Gefeierter Clown des Abends ist der stimmpräch­tige Buffobariton Marco Filippo Romano, der die komische Figur des französischen Chi­rurgen Michele Gamautte als Moderator, Kommentator und Inspizienten der Show und als Tunte von höheren Gnaden gibt. Aber auch alle übrigen Partien sind sehr rollendeckend besetzt.

Der Chor des Teatro Municipale di Piacenza singt tadellos, mal in Zuschauerpose der Modenschau, mal on stage. Leider gelingt es dem inzwischen 58-jährigen dirigierenden Hans Dampf in allen Gassen, Fabio Luisi (seit 2015 Musikdirektor des Festivals) vom Pult aus nicht, die singuläre musikalische Qualität der Oper zu beglaubigen. Zu sehr trägt er die Sänger auf Klangwolken aus Watte. Er hält das 1986 gegrün­dete Orchestra Internazionale d´Italia zu durchweg weichem, konturenlos sanftem Spiel an, setzt auf lähmend breite Tempi, lässt es an der für Meyerbeer so wichtigen Clarté, auch an Durch­hörbarkeit des musikali­schen Satzes, vor allem aber an Meyerebeerschem Esprit mangeln. Schade, so blieb diese Meyerbeerausgrabung auf halber Strecke liegen.