Schauspiel,

Zwischen Lametta und Plateausohle

Sven Schlötcke & Anna Makulat: Peter Pan & the Lost Boys

Theater:Mühlheimer Theater an der Ruhr, Premiere:07.12.2010

Peter Pans Reich Neverland ist bekanntlich nicht von dieser Welt. Seit Michael Jackson wissen wir, dass jede Übertragung in die Wirklichkeit scheitern muss. Die Ranch eines Popstars ist kein Traumland. In Anna Malunats Inszenierung des Klassikers von John Barrie, einer Koproduktion des Düsseldorfer FFT mit dem Theater Mülheim a.d. Ruhr, gibt Peter Pan (Marko Leibnitz) gleich selbst den Glamourstar, der mit Plateausohlen, farbiger Lamettaumhang und Zylinder wie ein Widergänger seiner eigenen Egomanie daherkommt. Sein Traumland der Kindheit bedeutet zuallererst Ich-Bezogenheit. So ist der Ausflug von Wendy, John und Michael, den drei Kindern der Familie Darling, von schnell verglühendem Reiz.

Der Alltag, den sie verlassen, ist der einer geblümten Uniformiertheit, die sich bis auf Vaters Jackett, Mutters Kleid, Sofabezug, Teppich und Lampenschirm (Bühne: Jan Kattein) ausgedehnt hat. In einer solchen Umgebung ersticken selbst die Kinderspiele zum fantasielosen perpetuum mobile. Nur Mutter Darling und Wendy sehen zunächst in dem hinter einen Glasscheibe aufglühenden Peter Pan eine Retterfigur: die Tochter bekommt ihren ersten (ziemlich unromantischen) Kuss; die Mutter sieht in Peter Pan den Erlöser aus dem Alltags- und Ehewahnsinn.

Anna Malunat setzt auf Stilisierung, Ironie und Kommentierung der Theatervorgänge. Das hat ein poetisches Trockenschwimmen zur Folge, das zunächst vor allem die Erwachsenen zum Lachen bringt, weniger die Jugendlichen, für die es eigentlich gedacht ist. Peter Pans Neverland ist vor allem ein sich selbst reflektierender Theatervorgang. So lapidar hat man jedenfalls den Flug in Pans Reich noch nie gesehen. Käpt’n Hook und seine Piraten sind Entertainer mit Federhut und um den Kopf gebundenen Handtüchern bei der Showeinlage. Der Witz von Hooks stilbewusstem Auftreten rührt vor allem daher, dass er die Flocken einer Schneewalze in den Mund bekommt. Gelungen dagegen die von Kornelius Heidebrecht komponierten Songs, die das Geschehen geschickt untermalen und kommentieren.

Peter Pans Allüren gerinnen schließlich zur Erfahrung unsäglicher Langeweile, die das bürgerliche Leben als Reiz wiederentdeckt. Er spielt mit Wendy als Mutter, die die Lost Boys in die Hundehütte zum Schlafen schickt, das Elternpaar. Dann bricht eine Art Weltvernichtungsfuror in ihm durch, der den eigenen Tod als letzten Kick behauptet. Die Rückkehr der Kinder nach Hause ist nur eine Frage der Zeit, dort allerdings erwartet sie dann ein anderer Verlust: Mutter Darling verlässt die Familie. Das Ende der Kindheit kann manchmal ganz schön hart sein.