Text:Detlev Baur, am 27. Februar 2012
Eigentlich sind die Menschen in Anton Tschechows Stück „Der Kirschgarten“ nie so ganz da. Im ersten Akt kommt die Gutsbesitzerin Ljubow Andrejewna Ranjewskaja aus Paris zurück an den Ort ihrer Kindheit und ihres glücklosen Ehelebens, bald zeigt sich, dass Sie und Personen um sie herum nicht wirklich zu Hause ankommen und schon im dritten Akt erwarten sie Nachricht von der Zwangsversteigerung des Guts und planen die erneute Abreise nach Paris, die dann im vierten Akt folgt. Katja Haß hat für Stephan Kimmigs Inszenierung am Deutschen Theater in Berlin einmal mehr eine quadratische Bühne mit einem zentralen Element gebaut: aus hohen hellgrauen Wandteilen an den Seiten und der Rückseite und einem aus zwei baugleichen Elementen bestehenden zentralen Mitteltor. Mit säulenähnlichen hohen Pfosten und den kleinen in die Wände eingestanzten Löchern wird aus diesem un-heimeligen Raum in den Übergängen zwischen den Akten bei Beleuchtung von hinten eine Kathedrale der Vergangenheit. Doch bleibt die Bühne abgesehen von solch kurzen Momenten für das Spiel der Schauspieler ein ortloser Raum, ohne Spielflächen jenseits der Rampe, aber auch ohne spannungsvolle Widerstände für die Darsteller.
Der Schlaf, die Sehnsucht nach innerer Ruhe, Schlaflosigkeit und Müdigkeit ist ein Leitthema der Inszenierung. Lopachins Erwachen zu Beginn, nachdem er beim Warten auf die Ankömmlinge eingenickt war, gleicht dem Erwachen aus einem Alptraum. Felix Goeser spielt den Emporkömmling überzeugend als sowohl dynamisch-lauten wie sensiblen Immobilienmakler vom Lande. Andere Mitspieler gewinnen in dieser auf unter drei Stunden verknappten „Kirschgarten“-Inszenierung ihren nervösen Figuren weniger Nuancen ab. Trotz der immer wieder versuchten Umarmungsversuche zweier oder mehrerer Menschen bleiben sie alle allein, es entsteht wenig Gemeinschaft. Und auch die zentrale Figur der Ranjewskaja von Nina Hoss ist eine Einsame, die weniger als gesellschaftlich desorientierte Adlige erscheint als eine verlorene Seele. In der brillanten Darstellung von Nina Hoss gleicht sie einer Süchtigen, einer Liebes-Abhängigen, die in ihrer krankhaften Suche um so mehr alleine bleibt – und darum auch kein vernünftiges Verhältnis zum Geld findet. Das ist spannend zu beobachten, wie auch die gescheiterte Liebes- und Hochzeitsantragsszene zwischen Lopachin und Meike Drostes Warja ein kurzes schönes Zusammenspiel im Nicht-Zueinander-Kommen zeigt. Alles in allem kommen in diesem „Kirschgarten“ die Figuren jedoch nicht recht an – und sind dann auch schon wieder weg.