Vorbereitungen im Konzertsaal des Theaterhauses in Gera

Jubiläum: Digitaler Festakt am Theater Altenburg Gera

Vor zwei Monaten zeichnete sich ab, dass es nichts mit dem physischen Festakt „150 Jahre Altenburg“ am 16. April 2021 wird. Was tun? Der Neurenaissance-Bau des früheren Hoftheaters Altenburg – heute ein Spielort von Theater und Philharmonie Altenburg Gera – muss feiern und keiner darf hin hin. Theaterintern stand der Plan schon lange: Ein Konzert mit Festakt genau 150 Jahre nach der Eröffnung des Hoftheaters mit Webers „Freischütz“ am 16. April 1871. Von langer Hand vorbereitet war der Mtte April erschienene Aufsatzband zum Jubiläum: Eine Fundgrube an Fakten, Erinnerungen und potenziellen Anekdoten mit Stoff für mindestens zehn Galas und 100 Rahmenveranstaltungen. Gewichtiger war aber das zweite Handicap: Das Theater Altenburg wird seit Sommer 2019 saniert, an eine Wiedereröffnung ist vor 2022 nicht zu denken und man spielt, sofern Corona das zulässt,in einem Theaterzelt am Großen Teich.
Dann ging alles ganz schnell – physikalisches Gesetz der Beschleunigung im freien Fall. Chefdramaturg Felix Eckerle sagte am 15. April nach der Buchpräsentation im Theaterzelt: „Wir haben einfach vorbereitet.“ Der Sender MDR Klassik stellte seiner Moderatorin Bettina Volksdorf umfangreiche Sendezeit zur Würdigung des Theaters zur Verfügung. Und für eine gute Zusammenarbeit zwischen Theatern und Privatsendern wie Altenburg.tv gibt es bestens funktionierende Vorbilder, etwa in Brandenburg.

Der Festakt ist auf YouTube, bei Altenburg.tv und auf der Homepage des Theaters greifbar, die Rundfunkbeiträge in der Mediathek des MDR  Der Unterschied ist allerdings größer als nur der zwischen Rundfunk und TV, Audio und Video, obwohl das Musikmaterial annähernd das gleich ist. Beim MDR fehlt das im Fernsehen als ‚Konserve‘ zum Ballettauftritt kommende Gebet „Jungfrau Maria“ aus Flotows „Alessandro Stradella“. Bei Bettina Volksdorf gibt es also mehr Redezeit: In Kurzinterviews stellt sie Ensemblemitglieder vor wie die in Altenburg geborene Schauspielerin Rebecca Halm und die aus Saalfeld stammende Sopranistin Anne Preuß. Gesprächsinhalte sind das Privileg, in der Heimat in einem künstlerischen Beruf in Festanstellung zu sein – ein Luxus erst recht während Corona. Aber es geht auch um die Frage, wie es weitergehen könnte während und nach der Pandemie… Auffallend dabei: Die indirekten rhetorischen „Werbeflächen“ für die Projekte in der nahen Zukunft sind sehr sparsam gesetzt. Man verliert Worte über die Profilierungen und nicht wenigen künstlerischen Erfolgserlebnisse der letzten Jahre. Schwer wiegen die aus einem eigenen kurzen MDR-Report übernommenen Worte von Stefan Petraschewsky über die von Felix Eckerle und Harald Müller im Verlag Theater der Zeit herausgegebene Festschrift. Diese enthalte auch „bittere Wahrheiten“.

Das Cover der Festschrift 150 Jahre Theater Altenburg Gera“

 

Mit Liebe und nicht übertriebener, deshalb glaubhaft liebevoller Herzlichkeit gelingt die kurzweilige einstündige Fernsehsendung als tönender Geschichtsrückblick des Fünfsparten-Theaters. Der Jubilar – das Theatergebäude – kommt nur während der langsamen Tongirlanden in „Casta diva“ aus Bellinis „Norma“ mittels historischer Abbildungen ins Bild. Viele Nahaufnahmen, kreisende und schwebende Kameraeinstellungen sollen vergessen machen, dass am 24. März 2021 nicht am Originalort, sondern im Konzertsaal des Theaterhauses Gera gesungen, gespielt und gedreht wurde. Bei den auf Gründerzeit-Flair zielenden Damenroben ereilt älteres Sendepublikum ein auch durch die Musikauswahl verdichtetes Déjà-Vu: Das kenne ich doch aus dem legendären Quiz „Erkennen Sie die Melodie“ oder dem Glückwunschkonzert. Ohne Chor spielte man mit Ausnahme der immer zu solchen Anlässen passenden Hallenarie der Elisabeth aus „Tannhäuser“ Ausschnitte aus Werken, die in der Eröffnungsspielzeit auf die Bühne des Theaters Altenburg gelangten. Ulrich Burdack tritt dann auch noch wie der herzogliche Landesvater mit Pickelhaube und Lortzing-Tönen auf. Schauspieldirektor Manuel Kressin zieht zwischen Szenen aus Aubers „Fra Diavolo“, Flotows „Martha“ und „Troubadour“ immer wieder Kapellmeister Thomas Wicklein ins Gespräch. Viel Spieloper und Opéra comique also.

Das Theaterzelt, zurzeit Ausweichquartier des Schauspiels © Roland H. Dippel

Szenenwechsel – auch aus dem Theaterzelt Altenburg gibt es etwas. Dort packt das Schauspielensemble voll an: Zum Höhepunkt gerät die einteilige Regionalposse von Schauspieldirektor Manuel Kressin mit seiner Sparte. In Schwarzweiß wird gesketcht, wie im ersten Theaterjahr nicht weniger als 74 verschiedenen Stücke auf die Bühne kommen konnten.Vor der „Freischütz“ Dekoration steht das Ensemble voll im Wald: Die ihr Dekolleté zwar nur rhetorisch, aber mit eindeutiger Plastizität zu Theatermarkte tragende Jugendlich Naive im dreißigsten Jahr ihres Engagements, die den besoffenen Heldendarsteller küssen müssende Debütantin, ein „Proben für Feigheit“ haltender Gaststar aus Rudolstadt und der Thüringer Müllerbursche mit Schauspielambition als „Privatassistent“ des Herrn Direktors. Die gute alte Zeit zwischen Direktor Striese und „kleinem Hofkonzert“ offenbart sich als Brutstätte von angedeutetem Machtmissbrauch, Sexismus und Übergriffen. Allerhand, wie das beim regionalen Privatsender und in der Mediathek frei zugänglich ist. Aber auch wie lebenswahr! Das Hoftheater Altenburg also als Abbild, Alpvision, Utopie und Traum von einer besseren Welt: Ein Schauplatz mit vielen Gesichtern – mit beglückender Qualität damals bei den von Bayreuth gelobten 80 Wagner-Inszenierungen bis 1945 – und bis in die mitteldeutsche Gegenwart.

Jetzt sind, wie erwähnt,  beide Gala-Beiträge in den diversen Mediatheken. Mit leichten Gesten und Lippen sowie hoher Verbindlichkeit wurde rhetorisch und musikalisch gefeiert. Sogar die Festouvertüre des Alteburger Hofkapellmeisters Friedrich Wilhelm Stade konnte man hören. Und doch war das alles nicht besonders einprägsam, obwohl alle Beteiligten ihr Bestes gaben Einmal mehr muss man nach dem bewussten und intensiven Genuss digitaler Angebote konstatieren, dass kein noch so gutes Video, keine noch so gute Moderation und kein noch so gutes Bildungs- und Kulturvermittlungspaket den physischen Eindruck eines echten Theaterabends angemessen ersetzen kann. Authentizität gerinnt zu ortloser Unspezifik, wenn es keine große Totalen geben darf, weil Schauplatz und Drehort nicht identisch sein können. Es wurde schön und inbrünstig gesungen, liebevoll gespielt und ausgestattet. Aber etwas fehlt und so ist der Jubiläumsband doch die genauere Hommage, welche die imponierende Geschichte des Theaters Altenburg beschwört und reflektiert. Dafür Evviva, Theater und Philharmonie Altenburg Gera!

Sanierung zum Jubiläum: Das Theater Altenburg @ Roland H. Dippel